Berlin – Nach der Tötung des iranischen Generals Soleimani droht die Lage zu eskalieren. Ein Gespräch mit dem außenpolitischen Sprecher der Grünen, Omid Nouripour.
Steht die Golf-Region vor einem neuen Krieg?
Die Lunte für einen solchen Krieg ist so kurz wie noch nie. Und sie brennt bereits lichterloh. Zu befürchten ist eine Überreaktion des Iran, auf die wiederum andere Überreaktionen folgen könnten. Es droht eine unaufhaltbare militärische Eskalation.
Eine Reaktion besteht darin, dass das irakische Parlament den Abzug aller ausländischen Truppen verlangt, auch der Bundeswehrsoldaten. Wie soll Deutschland reagieren?
Abziehen. Es ist nicht nur die Sicherheitslage, die das gebietet. Auch die veränderte politische Situation führt dazu, dass eine Wirksamkeit dieses Einsatzes kaum mehr gegeben ist. Und mit dem Beschluss des irakischen Parlaments fehlt es an der völkerrechtlichen Legitimation des Einsatzes. Deshalb Abzug und zwar möglichst schnell.
Aber die internationale Militärkoalition dient der Bekämpfung des IS. Würde der Irak durch einen Abzug nicht automatisch instabiler?
In den letzten Wochen ist deutlich geworden, dass dieser Auftrag immer schlechter bis gar nicht funktioniert. Denn die Sicherheitskräfte, die man dort ausbilden wollte, haben auf friedliche Demonstranten geschossen und Hunderte getötet. Außerdem ist der Einfluss des Iran im Irak mittlerweile so enorm und durch die jüngsten Ereignisse zusätzlich gewachsen, dass die westliche Militärallianz Gefahr läuft, Leute auszubilden, die von Teheran kommandiert werden. Das kann nicht Sinn des Einsatzes sein.
Und die steigende Terrorgefahr stört Sie nicht?
Der Terrorismus gewinnt an Boden, wenn die Sunniten im Irak das Gefühl haben, von den schiitischen Kräften dominiert zu werden. Beim ersten Mal hat es die Entstehung des IS begünstigt mit all den verheerenden Folgen. Der Angriff gegen den iranischen General Soleimani hat bewirkt, dass es eine Einheitsfront der Schiiten auf Kosten der Sunniten gibt. Und viele Schiiten stehen direkt unter dem Einfluss des Iran.
Also soll sich der Westen dort ganz raushalten?
Nein. Das Gebot der Stunde ist jetzt nicht eine Sicherheitssektor-Reform, sondern Deeskalation. Dafür muss die Krisendiplomatie der Europäer hochgefahren werden, vor allem der Deutschen. Um zu verhindern, dass der Iran überreagiert, muss man unbequeme Reisen auf sich nehmen, das Gespräch suchen und nicht nur vom Schreibtisch aus betonen, man wolle keinen Krieg.
Meinen Sie damit Außenminister Maas persönlich?
Ja. Ich meine Mutlos-Maas. Der deutsche Außenminister war in den letzten Tagen nicht präsent genug, um klarzumachen, dass die Europäer bereit sind, für eine Verhinderung des Krieges auch wirklich etwas zu investieren. Es geht hier um eine militärische Eskalation nicht nur im Iran, sondern auch im Persischen Golf, in der Meerenge von Hormus, im Libanon, in Syrien oder in Afghanistan. HAGEN STRAUSS