München – Demut ist das Gebot der Stunde – oder zumindest das, was die Führung in Teheran darunter versteht. Seine Leute hätten sich trotz heftiger Proteste am Sonntag in „Geduld und Toleranz“ geübt, sagte der iranische Polizeigeneral Hossein Rahimi gestern. Man habe nicht geschossen, weil es einen „Befehl zur Zurückhaltung“ gegeben habe. Dass das Regime auch anders kann, zeigte es zuletzt im November 2019. Bei regierungskritischen Protesten starben laut Amnesty International damals mindestens 300 Menschen.
Das Regime in Teheran weiß, dass es sich nach dem Abschuss eines Flugzeugs, bei dem vergangene Woche 176 Menschen ums Leben kamen, vor den Augen der Welt keinen weiteren Fehler erlauben darf. Zugleich steht es nach den Protesten am Sonntag mit 3000 Teilnehmern im Inneren unter Druck. Selbst regierungsnahe Zeitungen zeigten sich offen kritisch. Die Frage ist: Bricht sich hier etwas Größeres Bahn? Wackelt das Regime?
Im Iran war es in den vergangenen Jahren immer wieder zu Protesten gekommen. Wirtschaftliche Not und fehlende Reformen trieben die Leute auf die Straße und die Fähigkeit des Regimes, die Versäumnisse durch die Pflege von Feindbildern (USA und Israel) zu überdecken, nahm ab. Insofern war die Tötung des Elite-Generals Ghassem Soleimani durch die USA ein Geschenk für die Mullahs. Es sah so aus, als könnten sie die Reihen hinter sich schließen. Hunderttausende gingen bei Soleimanis Trauerfeier auf die Straßen und forderten „Rache“. Doch das war nicht das ganze Bild.
„Der Abschuss des Flugzeugs hat zu einem weiteren Vertrauensverlust in das Regime geführt“, sagt Eckart Woertz, Leiter des Hamburger GIGA-Instituts für Nahost-Studien. „Die politische Führung wird nun versuchen, das Problem auszusitzen.“ Da die aktuellen Proteste nicht organisiert seien, stünden die Chancen nicht schlecht.
Das Regime aber ringt um den richtigen Umgang mit der Krise. Woertz sagt, das „vergleichsweise schnelle Eingeständnis des Abschusses“ und die offene Kritik der Führung an den Revolutionsgarden seien für Teheran „bemerkenswert“. Doch die Beweislast war am Ende ohnehin erdrückend. Und dass das Regime, wie es auch gestern wieder behauptete, nicht versucht habe, die Sache zu vertuschen, glauben wohl nur die wenigsten.
Erste Stimmen mahnen darum auch, die Proteste von außen nicht künstlich anzufachen. Der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, sagte im ZDF, zwar sei es wichtig, „dass die Bevölkerung im Iran spürt: Die Welt schaut zu“. Zu viel Unterstützung für die Demonstranten könne den Konflikt aber auch eskalieren lassen. Darum sei „Augenmaß“ angebracht. Im Übrigen, sagt Ischinger, wisse niemand, „wer kommen würde, wenn die Mullahs ihre Macht aufgeben“.
Dass es früher oder später so kommt, ist für manche aber eine Gewissheit. „Mit der iranischen Republik geht es bergab, und zwar unaufhaltsam“, sagt der Islamwissenschaftler Udo Steinbach, der lange Jahre das Deutsche Orient-Institut in Berlin leitete. Er hält sogar einen „Militärputsch vonseiten der Revolutionsgarden“ für möglich –langfristig.
Im Februar stehen zunächst mal Parlamentswahlen an. „Ich nehme an, dass die Wahlbeteiligung minimal sein wird“, sagt Steinbach. Die religiöse Legitimität des Regimes sei dahin. „Sie bricht derzeit in sich zusammen.“