Seeon/München – Es sieht alles recht improvisiert aus, wenn Markus Söder das Wort an protestierende Landwirte richtet. Der Eindruck täuscht: Jeden Auftritt hat er genau vorbereitet. Vor sich ein unauffälliger Zettel als Gedankenstütze, die Rednerliste seiner Parteifreunde ist exakt abgestimmt, Söder achtet sogar, in welcher Kleidung er vor die Bauern tritt – bodenständig, ja keine Krawatte. Bisher schaffte er es, bei jeder Rede mit Protest empfangen und mit Beifall verabschiedet zu werden. Er weiß, dass für die CSU ein Bruch mit dieser kleinen, aber lauten Klientel schwierig wäre. Am Freitag in seiner Heimatstadt Nürnberg kommt es aber zu einem großen Unsicherheitsfaktor.
Da tritt statt Söder ein anderer Repräsentant seiner Regierung auf: Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger richtet das Wort an bis zu 10 000 Bauern. Sie demonstrieren auf dem Volksfestplatz für mehr Respekt und gegen die Dünge-Regeln. Nein, Aiwanger wird kaum die Bauern verprellen. In der CSU wächst aber die Sorge, dass der 48-Jährige Auftritte wie diesen nutzt, um die Bauern kurz vor der Kommunalwahl zu seiner Partei zu locken. „Der Hubert spielt im Moment den Schatten-Landwirtschaftsminister“, heißt es in der CSU irritiert.
Die Indizienkette ist lang. Formal ist Aiwanger als Minister für Wirtschaft, Energie, Hightech zuständig. Seit der Groll der Bauern schrill wurde, schaltet er sich aber immer wieder in die Agrar-Debatte ein. Im Internet verbreitete er den Ruf nach neuen Nitrat-Messstellen zwei Tage, bevor Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber (CSU) das als Position der Staatsregierung formulierte. Die Bauernverbandspitze holte er vier Tage vor ihrem Auftritt bei der CSU in Seeon zur Klausur seiner Freien Wähler. Fast täglich postet und twittert er Solidaritätsadressen. Die Bauern stünden „ungerechtfertigt am Pranger“.
Die CSU stutzt. Aiwanger zielt mitten ins konservative Kernklientel: Nach dem Werben um Trachtler (Messer), Schützen und Jäger (Waffenrecht) legt er nun den Fokus auf Landwirte. Die CSU muss in mehrfacher Hinsicht einen Mittelweg suchen als ergrünte Neu-Umwelt-Partei und auch als Koalitionspartner in Berlin – Aiwanger verkauft Agrarpolitik pur. Die Wortgewalt dazu hat er.
„Gewisse Dinge soll man geradeaus sagen, sich nicht immer wegducken“, erklärt Aiwanger. Am Vorwurf des Schatten-Agrarministers stört ihn höchstens der Begriff Schatten. „Landwirtschaft ist auch Wirtschaft“, sagt er am Dienstag im Münchner Presseclub. „Ich bin gebürtiger Bauer, ich sehe diese Berufsgruppe als äußerst wichtig für die Zukunft des Landes an.“ Es sei unverzeihlich, wenn man „die Landwirte aus unserer Gesellschaft herausmobben“ lasse. Er sehe sich „in jeder Form auf den Plan gerufen“.
Er poltert nicht planlos. Er meidet böse Worte über die CSU, nennt sie höflich „den Koalitionspartner“. Das Klima im Bündnis ist trotz nahender Kommunalwahl stabil. Dass er Partei-Ziele mit der Bauern-Jäger-Trachtler-Offensive verbindet, gibt der Freie-Wähler-Chef trotzdem unumwunden zu. Er kenne ja den Vorwurf, der Wirtschaftsminister solle sich internationalen Fragen zuwenden. „Die sagen, der Aiwanger soll sich um China kümmern – wenn wir das täten, wären wir nicht mehr so stark.“
Aiwanger könnte damit ein Abdriften von Landwirten zur AfD aufhalten. In der CSU empfinden manche seine Auftritte aber als grob überzogen. Bei einem Bauerntag bei Schongau etwa hatte Aiwanger den Landwirten zugerufen: „Verlasst euch nicht auf die Politik, sondern sucht euch euren eigenen Weg, wie ihr überleben könnt.“ Aufrufe, sich ja nicht auf sie zu verlassen, sind in der CSU selten. Zudem wächst die Sorge, ob sich hohe FW-Werte mal rächen. In den letzten Umfragen gab es keine Anzeichen, dass die Freien in der Regierung so schrumpfen könnten wie 2008 bis 2013 die FDP; sie liegen stabil bei 10 plus X.
Ein kurioser Tausch: Die Hightech-Offensive für Bayern, Kerngebiet des Wirtschaftsressorts, entwickelte und präsentierte Söder persönlich. Sein Vize wildert dafür munter in CSU-Gebieten. Der Neben-Bauern-Minister will sich auch nicht ändern. „Söder Weltraum, Aiwanger Bodenpersonal – das ist eine ganz gute Aufgabenteilung.“