Jerusalem – Es ist ein beispielloser Vorgang in der israelischen Geschichte. Zum ersten Mal überhaupt wird mit Benjamin Netanjahu ein amtierender Ministerpräsident angeklagt. Es geht um Korruptionsvorwürfe in drei Fällen – die Anklageschrift wurde gestern beim Bezirksgericht in Jerusalem eingereicht.
Kurz zuvor hatte der rechtskonservative Politiker seinen Antrag auf Immunität zurückgezogen. Eigentlich sollte gestern in der Knesset darüber beraten werden, Netanjahu kam dem aber zuvor; auch, weil seine Chancen auf Erfolg schlecht standen. Auf seiner Facebook-Seite warf er seinen Gegnern ein „schmutziges Spiel“ vor – er werde alle Vorwürfe widerlegen.
Kurz vor der Parlamentswahl am 2. März sorgt Netanjahu damit für klare Verhältnisse. Er strebt trotzdem eine weitere Amtszeit als Ministerpräsident an. Bis es zum Prozess kommt, könnte es laut Amir Fuchs vom Israelischen Demokratie-Institut indes „noch Monate dauern“.
Bei den Vorwürfen geht es um den Verdacht der Beeinflussung von Medien, angeblich krumme Deals mit Unternehmen und Luxusgeschenke befreundeter Geschäftsleute im Gegenzug für politische Gefälligkeiten. Sollte er wegen Bestechlichkeit verurteilt werden, drohen ihm bis zu zehn Jahre Haft. Auf Betrug und Untreue stehen drei Jahre Höchststrafe.
Netanjahu befand sich gestern in Washington, um gemeinsam mit US-Präsident Donald Trump dessen Nahost-Plan vorzustellen. Auf Facebook nahm er darauf Bezug: „Zu dieser schicksalhaften Stunde für das israelische Volk, während ich mich auf einer historischen Mission in den USA aufhalte, um die dauerhaften Grenzen Israels festzulegen und Israels Sicherheit in den kommenden Generationen zu gewährleisten, soll in der Knesset eine weitere Zirkusvorstellung beginnen, um mir die Immunität zu entziehen.“
Sein Herausforderer Benny Gantz vom Mitte-Bündnis Blau-Weiß sagte nach der Entscheidung, den Immunitätsantrag zurückzuziehen: „Niemand kann ein Land regieren und sich gleichzeitig um schwerwiegende Strafverfahren in drei Fällen wegen Bestechlichkeit, Betrugs und Untreue kümmern.“
Im Verfahren gegen Netanjahu sollen zahlreiche Zeugen befragt werden, darunter US-Milliardär Sheldon Adelson und der Vorsitzende des Jüdischen Weltkongresses (WJC), Ron Lauder. Auch Springer-Chef Mathias Döpfner erscheint in der Anklageschrift als Zeuge Nummer 310 von 333. Springer hatte 2014 das israelische Kleinanzeigen-Portal yad2 für 165 Millionen Euro gekauft. Das Portal gehörte zu Israels größtem Telekommunikationsunternehmen Bezeq, Mehrheitsaktionär war damals Schaul Elovitsch. Mit ihm unterhielt Netanjahu laut Anklageschrift eine korrupte Beziehung von „Geben und Nehmen“.
In Israel regiert seit rund einem Jahr ein Übergangskabinett mit Netanjahu an der Spitze. Das Parlament ist nur eingeschränkt handlungsfähig. Nach zwei Wahlen 2019 gelang wegen einer Pattsituation keine neue Regierungsbildung.