München – Es ist still, wenn Silja Zhang, 36, ihr Fenster öffnet. Keine Autos, keine Busse, keine Fußgänger. Nur Rettungswägen und Ärzte rauschen ab und zu vorbei. Dabei lebt Silja Zhang im Zentrum von Wuhan, eine der größten Städte Chinas. Mehr als elf Millionen Menschen wohnen hier.
Sie alle warten. Hinter verschlossenen Türen, seit dem 23. Januar. Die Stadt ist vom Rest der Welt abgeschnitten, seit sich das Coronavirus ausbreitet. Mehr als 100 Menschen sind seit Dezember an der Lungenkrankheit gestorben, über 4500 haben sich infiziert. In Wuhan wird nun innerhalb von wenigen Tagen ein ganzes Krankenhaus mit tausend Betten gebaut, ein zweites ist in Planung.
„Als die Stadt zugemacht wurde, war das für die Menschen hier beängstigend“, sagt Silja Zhang am Telefon. Die Radiologin aus München ist vor acht Jahren nach Wuhan gezogen. „Ich glaube aber, die Menschen haben sich jetzt daran gewöhnt. Man hält den Kontakt über soziale Netzwerke, viele sprechen sich Mut zu.“ Damit meint Zhang chinesische Plattformen wie Wechat oder Weibo. Auf westlichen Netzwerken wie Twitter und Facebook, die in China gesperrt sind, verbreitet sich dagegen Panik: Videos von anscheinend toten Menschen auf den Straßen, Gedränge in Krankenhäusern, Theorien, dass eine Fledermaussuppe angeblich der Ursprung für die Ausbreitung des Virus sei.
„Nein, Panik habe ich hier nicht festgestellt“, berichtet Zhang. Eher Zusammenhalt. Am Montagabend verabredeten sich die Einwohner Wuhans über das Internet. „Wir haben uns alle an die Fenster gestellt und uns gegenseitig aufgemuntert“, erzählt sie. „Dass wir nicht die Hoffnung aufgeben sollen. Und Geduld haben müssen. Wir waren froh und dankbar, dass wir zuhause in Sicherheit sind.“
Auch Timo Balz, 45, hat die Aktion miterlebt – obwohl er mit seiner Familie gut 20 Minuten Autofahrt von der Innenstadt entfernt lebt. „Wir haben die Lichter ausgeschaltet und die Nationalhymne gesungen“, erzählt er. Der Stuttgarter ist seit mehr als zwölf Jahren Professor für Fernerkundung an der Universität in Wuhan. Seine Familie und er gehen mit der Situation entspannt um – verlassen sogar täglich für einen Spaziergang das Haus. „Die Kinder brauchen ja Bewegung und frische Luft“, sagt er. Am Montag hätten sie das erste Mal ein paar andere Menschen getroffen. „Alle tragen Masken, auf der Straße weicht man sich aus.“ Das sei zwar komisch – aber man gewöhne sich daran.
„Die Leute beruhigen sich, aber ich glaube, dass die Quarantäne noch mindestens einen Monat lang anhält“, sagt Balz. „Die Inkubationszeit beträgt ja alleine schon 14 Tage. Aber unser Problem ist ein Witz – im Gegensatz zu dem, was die Ärzte in den Krankenhäusern leisten müssen.“
Auch Silja Zhang und ihr Mann bleiben gelassen. „Wenn man nur mit einem Mundschutz rausgeht und die Hände desinfiziert, kann nicht viel passieren“, sagt sie. „Am wichtigsten ist aber, dass man keinen Kontakt zu Fremden hat.“ Deshalb bleibt das Paar zuhause. Zuletzt war Silja Zhang am vergangenen Mittwoch draußen.
Sie und ihr Mann haben Lebensmittel auf Vorrat eingekauft. „Wir waren darauf vorbereitet. Als Ärzte haben wir klinikintern viel mitbekommen.“ Man könne zwar auch jetzt in den Supermarkt – viele Regale seien aber leer.
Zhang ist für deutsche Patienten zuständig. Corona-Infizierte hat sie bisher keine behandelt. „Viele Deutsche hatten Angst. Einige waren mit Kindern hier, die meisten sprechen kein Chinesisch und fragten sich, wann sie heim können.“ Nach Informationen des „Spiegel“ wird die Bundeswehr nun die rund 90 Deutschen abholen.
Silja Zhang und Timo Balz bleiben aber in Wuhan – und warten. In der abgeriegelten Stadt.