Die Demokraten nach Trumps Rede

Das Ende der Anstandswahrer

von Redaktion

MIKE SCHIER

Es war eine Szenerie, die in die US-Geschichte eingehen dürfte. Im Vordergrund ein selbstverliebt grinsender US-Präsident, der eben eine ganze Rede zur Lage der Nation sich selbst gewidmet hatte. Im Hintergrund eine Oppositionsführerin, die das Manuskript dieser Rede auf offener Bühne zerreißt. Beides spiegelt den erschreckenden Zustand der US-Demokratie wider. Nach Kompromissen wird in Washington schon lange nicht mehr gesucht, man empfindet nur noch gegenseitige Verachtung.

Nach drei Jahren im Amt hat sich die Welt an die Ungeheuerlichkeiten der Trumpschen Amtsführung gewöhnt. Neu ist, dass nun auch bei den Demokraten der Frust offenbar zu groß ist, um rudimentäre Anstandsregeln zu wahren. Nur: Wenn sich Pelosi auf Trumps Niveau herabziehen lässt, schwächt sie die eigene Partei – denn auch in den USA gibt es noch immer sehr viele Wähler, die sich halbwegs normale Umgangsformen im Weißen Haus wünschen. Barack Obama jedenfalls hätte niemals die Rede eines Kontrahenten öffentlich zerrissen.

Ausgerechnet im Wahljahr präsentiert sich die Opposition in einem desolaten Zustand. Das Chaos in Iowa, der Richtungsstreit zwischen radikal Linken und Gemäßigten, der mitunter schmutzige Vorwahlkampf – auch Elizabeth Warren verweigerte Bernie Sanders unlängst den Handschlag. Kein Wunder, dass der Amtsinhaber trotz Impeachments derzeit so demonstrativ gute Laune hat …

Mike.Schier@ovb.net

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