Dublin – Bei der Parlamentswahl in Irland hat sich am Wochenende ein deutlicher Umbruch in der politischen Landschaft abgezeichnet. Erste Hochrechnungen am Sonntag bestätigten die Ergebnisse einer Nachwahlbefragung, wonach sich die linksgerichtete Partei Sinn Fein neben den beiden bürgerlichen Parteien Fine Gael und Fianna Fail als führende politische Kraft etablieren konnte. Alle drei Parteien lagen demnach bei rund 22 Prozent. Die Auszählung dauerte am Abend noch an.
Der Wahlerfolg von Sinn Fein wurde von Beobachtern bereits mit einem politischen Orkan verglichen, der ähnlich wie das Sturmtief „Ciara“ (in Deutschland „Sabine“ genannt) am Wochenende über Irland hinwegfegte. Bislang hatten sich in der Geschichte des Landes seit der vollständigen Unabhängigkeit von Großbritannien stets Fine Gael und Fianna Fail an der Macht abgewechselt. Damit könnte nun Schluss sein.
Ob Premierminister Leo Varadkar im Amt bleiben kann, galt als zweifelhaft. Er führt mit Fine Gael eine Minderheitsregierung an, die von Fianna Fail mit dem Oppositionschef Micheal Martin an der Spitze toleriert wird. Doch ob diese Zusammenarbeit fortgesetzt werden kann, möglicherweise auch unter umgekehrten Vorzeichen, war gestern völlig ungewiss.
Kaum Chancen auf das Amt der Regierungschefin hat die Sinn-Fein-Präsidentin Mary Lou McDonald. Die 50-Jährige, die als Mitglied des Europäischen Parlaments internationale Erfahrung gesammelt hatte, ist seit genau zwei Jahren als Nachfolgerin von Gerry Adams Chefin der Partei. Doch der aktuelle Erfolg kommt auch für Sinn Fein überraschend: Die Partei hatte nur 42 Kandidaten für das Parlament mit 160 Abgeordneten aufgestellt.
Trotzdem galt McDonald noch vor der Auszählung der Stimmen als strahlende Siegerin. Sie kündigte an, mit den kleineren Parteien Gespräche über eine mögliche Regierungsbildung aufzunehmen. „Ich möchte, dass wir idealerweise eine Regierung ohne Fianna Fail oder Fine Gael haben“, so McDonald. Ihre Partei, die einst als politischer Arm der Untergrundorganisation IRA galt, hatte bei der Wahl 2016 nur rund 14 Prozent der Stimmen erreicht. Sie fordert eine Wiedervereinigung des britischen Landesteils Nordirland mit der zur EU zählenden Republik Irland. Als einzige Partei tritt sie in beiden Teilen Irlands an.
Punkten konnte Sinn Fein vor allem mit Forderungen in der Sozialpolitik. Der EU-Austritt Großbritanniens spielte hingegen so gut wie keine prominente Rolle. Nur ein Prozent der Wähler gab bei der Nachwahlbefragung an, der Brexit sei das bedeutendste Thema gewesen, berichtete der Sender RTÉ. Am wichtigsten waren den Wählern die Themen Gesundheit, Wohnen und Rente.
Ausgerechnet mit dem Brexit hatte Varadkar gehofft, sich profilieren zu können. Er fuhr in den Verhandlungen zwischen Brüssel und London über den britischen EU-Austritt einen harten Kurs und konnte sich mit seinen Forderungen weitgehend durchsetzen. Der Durchbruch bei den Brexit-Gesprächen gelang bei einem persönlichen Gespräch Varadkars mit dem britischen Premierminister Boris Johnson im vergangenen Herbst.
Auch das Thema wirtschaftliche Erholung nach der schweren Krise des Landes vor gut einem Jahrzehnt im Zuge der weltweiten Finanzkrise zog bei den Wählern nicht. Knapp zwei Drittel gaben an, nicht von dem wirtschaftlichen Aufschwung profitiert zu haben.
Die Regierungsbildung dürfte sich nun schwierig gestalten. Beide bürgerliche Parteien haben eine Koalition mit Sinn Fein ausgeschlossen. Auf eine Große Koalition mit Fine Gael will sich Fianna Fail aber nicht einlassen, und für beide dürfte es selbst mithilfe der jeweils anderen Partei schwerfallen, eine Minderheitsregierung zu bilden.