Berlin – Am Dienstag absolvierte die Kanzlerin ein normales Tagesprogramm: Fototermin zum bevorstehenden Valentinstag, nachmittags die übliche Unions-Fraktionssitzung. Die Bilder sind vertraut, die Begrüßung der Parteifreunde wie immer herzlich. Doch im Hintergrund braut sich etwas gegen Angela Merkel (CDU) zusammen. Und die mächtigste Frau des Landes kann nur ziemlich ohnmächtig zuschauen. Andere entscheiden, ob ihre Kanzlerschaft vorzeitig endet.
Hinweise auf die neue Lage gab es am Montag beim Rückzug von Annegret Kramp-Karrenbauer zuhauf. Die Noch-CDU-Chefin hatte die Noch-Kanzlerin erst wenige Minuten vorab über ihren Schritt informiert. Zum ersten Mal entschied AKK eine wichtige Frage allein. Und das, obwohl ihr Verzicht auf Kanzlerkandidatur und Vorsitz indirekt auch Merkels Zukunft betraf. Und dann war da in der anschließenden Pressekonferenz der Satz Kramp-Karrenbauers: „Die Trennung von Kanzlerschaft und Parteivorsitz schwächt die CDU.“
Merkels 2018 eingeleiteter Versuch, beide Ämter bis zum regulären Ende ihrer Kanzlerschaft voneinander zu trennen, und zwar ohne Reibungsverluste, war in diesem Moment eindrucksvoll gescheitert. Viele Kommentatoren schrieben, dass der jetzt gesuchte neue CDU-Vorsitzende eine Wiederholung der gleichen Situation nicht zulassen werde. Zumal nicht, wenn er schon Kanzlerkandidat ist. Dann werde er darauf bestehen, sofort ins Amt zu kommen.
Im Grunde genommen war die parallele Amtsführung für beide nicht gut. Für Merkel nicht, weil ihre Autorität in der Partei rapide schwand. Man warf ihr vor, sich in Wahlkämpfen nicht mehr zu engagieren und nur noch an ihren Platz im Geschichtsbuch zu denken. Wenn sie sich dann aber doch um Parteibelange kümmerte, wie letzte Woche, als sie sich während ihres Südafrika-Besuches in die Thüringen-Debatte einmischte, war es wiederum zu viel. Schlecht kam auch an, dass Merkel mit der SPD im Koalitionsausschuss am Wochenende die Formulierung aushandelte, die Große Koalition verlange Neuwahlen in Thüringen. AKK hatte sich bei ihren Verhandlungen in Erfurt mit dieser Forderung am Donnerstag nicht durchsetzen können und der Landes-CDU schließlich freie Hand gegeben, die Krise auch auf andere Weise zu lösen. Jetzt korrigierte Merkel das in Berlin. Zu allem Überfluss ignorierten die Christdemokraten des Freistaates anschließend diesen Koalitionsbeschluss.
Wie sehr einige den Respekt vor der Kanzlerin verloren haben, zeigte beispielhaft die Reaktion des Ost-Beauftragten Christian Hirte auf seine Entlassung. Er verbreitete süffisant, einer „Anregung“ der „Frau Bundeskanzlerin“ folgend, habe er um seine Entlassung gebeten. Der Bundestagsabgeordnete Mark Hauptmann, Vorsitzender der „Jungen Gruppe“, twitterte: „Denkverbote kommen jetzt wieder aus einer Machtzentrale.“ Zwar löschte er das bald wieder, doch erinnerte der Spruch sehr an die Bezeichnung der AfD für Merkel: „Kanzlerdiktatorin“.
Schon stellen sich viele in Berlin die Frage, wie ein vorzeitiger Übergang stattfinden könnte. Ohne Neuwahlen geht das nur, wenn die SPD einen Merkel-Nachfolger im Bundestag mitwählen würde. SPD-Chef Norbert Walter-Borjans wich aus: Die Koalition sei mit Merkel geschlossen worden. „Wenn es diese Kanzlerin nicht mehr geben sollte, stellen sich neue Fragen.“ Als ausgemacht gilt, dass die SPD einen Friedrich Merz nicht für die Restlaufzeit der Legislaturperiode ins Kanzleramt hieven, sondern auf Neuwahlen bestehen würde. Bei Armin Laschet könnte das anders sein. Er gilt als nah bei Merkel.
Unterdessen hat CSU-Chef Markus Söder die CDU vor einem „totalen Bruch mit der Ära Merkel“ gewarnt. Söder sprach sich in der „FAZ“ auch gegen einen vorzeitigen Rückzug Merkels aus. „Das wäre falsch. Deutschland braucht eine stabile Regierung mit einer international hoch angesehenen Kanzlerin“, mahnte der bayerische Ministerpräsident.