Stockholm – Was für die Deutschen die AfD ist, sind im Norden die Schwedendemokraten. Mit einwanderungs- und EU-kritischen Tönen hat die Partei um ihren Vorsitzenden Jimmie Akesson in den vergangenen Jahren Fuß gefasst in der schwedischen Politik, in Umfragen liegt sie bei 23,3 Prozent – fast genau dem Wert, den die AfD Ende Oktober bei der Wahl in Thüringen bekam.
Welche Folgen Thüringen hatte, ist bekannt: ein politisches Beben mit Rücktritten. In Schweden kennt man die Frage, ob die radikal Rechten mitregieren sollen, nur allzu gut: „Es war lange Zeit ein absolutes Tabu, mit den Schwedendemokraten zu sprechen. Das machte man in Schweden einfach nicht“, sagt Lina Lund, die Berlin-Korrespondentin der Tageszeitung „Dagens Nyheter“. Die Strategie der etablierten Parteien sei gewesen, die Fragen der Rechtspopulisten zu Einwanderung und Kriminalität nicht aufzugreifen. „Man hatte gedacht, dass diese Strategie der Ignoranz dafür sorgen würde, dass auch die Wähler diese Sachen ignorieren.“
Ein großer Fehler: Bei der Parlamentswahl 2010 schafften die Schwedendemokraten mit 5,7 Prozent erstmals den Sprung ins Parlament, 2014 lagen sie bereits bei 12,9 Prozent, 2018 bei 17,5. Und 2022? Umfragen sehen die Partei mit 23 Prozent als stärkste oder zweitstärkste Kraft – klar vor den Moderaten, einer Art schwedischer CDU, und gleichauf mit den seit Jahrzehnten dominanten Sozialdemokraten. „Vor zehn Jahren hätte man das niemals erwartet. Das war undenkbar“, resümiert Lund.
Eine Folge ist das Ende des klassischen Blockdenkens im Reichstag. Linke, Grüne und Sozialdemokraten bildeten bisher ein Lager; Moderate, Zentrum, Christdemokraten und Liberale das andere. Durch die Rechtspopulisten entstand Schlagseite – die parlamentarischen Pole gelangten aus dem Gleichgewicht, ohne dass die anderen Parteien ein Rezept fanden.
„Ein Resultat der starken Präsenz der Schwedendemokraten im Reichstag ist gewesen, dass die letzte Regierungsbildung deutlich länger gedauert hat“, sagt die Politikwissenschaftlerin Cornelia Leander von der Uni Stockholm. Die klassischen Lager brachen damals auf, die Sozialdemokraten und Grünen gingen im Januar 2019 letztlich eine umstrittene Vereinbarung mit dem Zentrum und den Liberalen ein, um mit deren Unterstützung irgendwie weiterregieren zu können.
Die Moderaten und auch die Christdemokraten haben mittlerweile eine Kursänderung vorgenommen und die Fragen von rechts doch aufgegriffen. Leander weist wie auch Lund darauf hin, dass die beiden Parteien die Tür für eine Zusammenarbeit mit Akessons Partei öffnen könnten. „Die Moderaten und die Christdemokraten wissen, dass sie nur Macht bekommen können, wenn sie in irgendeiner Form mit den Schwedendemokraten zusammenarbeiten“, sagt Lund. An eine direkte Regierungsbeteiligung der Partei glaube sie nicht, wohl aber an Kooperationen und Abmachungen etwa bei Sachfragen zur Migration und Kriminalitätsbekämpfung. STEFFEN TRUMPF