Lieberknecht plus ein Expertenkreis

von Redaktion

Thüringens CDU reagiert zurückhaltend auf Ramelow und will schnelle Neuwahlen vermeiden

Erfurt – Es ist erneut ein Tabubruch, aber diesmal auf ganz andere Weise. Nach der desaströsen Ministerpräsidentenwahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich mit AfD-Stimmen steuert Thüringen jetzt auf einen unorthodoxen rot-schwarzen Weg aus der Regierungskrise zu. Die Akteure: zwei Ex-Ministerpräsidenten – Bodo Ramelow von der Linken und seine Vorgängerin Christine Lieberknecht von der CDU.

Sicher ein unmögliches Gespann aus Sicht der Bundesparteien in Berlin. Für Thüringen jedoch eine Variante, über die es sich nachzudenken lohnt. Nicht nur, weil Ramelow (64) und Lieberknecht (61) seit Jahren ein über die Parteigrenzen hinweg respektvolles Miteinander pflegen und die massive Regierungskrise das Land Thüringen lähmt.

Die Idee, mit der Ramelow die CDU bei ihrem ersten Treffen zwei Wochen nach dem Beben überraschte: Der Landtag beschließt seine Auflösung, Lieberknecht führt eine technische Regierung mit nur drei Ministern – von Linke, SPD und Grünen – und organisiert den Weg zu schnellen Neuwahlen.

Bei der Linken heißt es, der CDU sei damit eine Brücke gebaut worden – aber der Schachzug setzt die einstige Regierungspartei, die eigentlich keine Neuwahlen will, auch unter Druck. Manche sprechen in den Landtagsgängen von einem „vergifteten Angebot“. Entsprechend schwer tut sich die CDU mit einer Reaktion: Nach mehrstündiger Sitzung dankt Fraktionschef Mike Mohring für Ramelows „spannenden Vorschlag“. Natürlich sei die CDU für eine Wahl Lieberknechts. Aber: Sie will keine Mini-Regierung mit drei Ministern, sondern eine, die „vollständig besetzt und parteiübergreifend von berufenen Experten bestellt wird“. Diese Übergangsregierung soll auch einen Haushalt für 2021 aufstellen. Das Wort „schnelle Neuwahl“ ist von der CDU nicht zu hören. Wenn Neuwahlen, dann nach einem Haushaltsbeschluss. Nur so gebe es die nötige Stabilität.

SPD-Chef Norbert Walter Borjans kritisierte die Haltung der CDU gestern als „prinzipienlos und überheblich“. In Thüringen müsse schnell neu gewählt werden, sagte er. Daran hat die CDU jedoch wenig Interesse. Aktuelle Umfragen prognostizieren ihr einen Absturz bis auf 13 Prozent. 21,7 waren es bei der Wahl im Oktober. Zumindest wäre die CDU mit Lieberknecht als Übergangsministerpräsidentin wieder politisch im Spiel – und könnte sich vielleicht sogar als Retter in der Not verkaufen, heißt es aus dem Ramelow-Lager.

Mohring, hört man aus der Fraktion, sei in einer Pause schnell zu Lieberknecht ins Weimarer Land gefahren, um sich ihrer Bereitschaft zu versichern, für eine Übergangszeit in die Landespolitik zurückzukehren. Die 61-Jährige, die sich im Herbst 2019 aus der Berufspolitik verabschiedete, habe keine eigenen Ambitionen, wolle sich der Aufgabe aber aus Verantwortung für das Land stellen, berichtet ein Abgeordneter.

Spekuliert wird im Landtag auch, wieso Ramelow jetzt den Weg mit einer Übergangsregierung gehen will, gegen den er noch vergangene Woche Front gemacht hat. „Die CDU hat deutlich gemacht, dass sie ihm weder im ersten noch im zweiten Wahlgang ihre Stimme geben wird, sollte er sich erneut einer Ministerpräsidentenwahl stellen“, sagen Vertreter von Rot-Rot-Grün. Damit sei sein favorisierter Weg – er führt eine Minderheitsregierung, die Neuwahlen einleitet – versperrt. Rot-Rot-Grün fehlen im Landtag vier Stimmen, alle wollen vermeiden, dass es auf die AfD ankommen könnte. S. ROTHE/S. HANTZSCHMANN

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