Die linke Brandmauer wankt

von Redaktion

„Historischer Kompromiss“ oder geschichtsvergessener Fehler? In Thüringen will die CDU nun doch eine linke Regierung aktiv unterstützen. Neuwahlen sind erst für April 2021 vorgesehen. Offenbar hat das finanzielle Hintergründe.

VON SIMONE ROTHE UND CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER

Erfurt/München – Alltag in Thüringen: Da ist niemand, der regiert. Dafür gibt es politische Aufgeregtheit mit täglichen Krisensitzungen und Gerüchten über Geheimabsprachen. Seit der desaströsen Ministerpräsidentenwahl vom 5. Februar, die wegen der Wahl von Thomas Kemmerich (FDP) auch mit AfD-Stimmen ein politisches Beben in ganz Deutschland auslöste, ringt die Politik um einen Ausweg aus der Krise. Thüringen taumelt, weil es im Parlament keine regierungsfähige Mehrheit jenseits von AfD und Linke gibt.

Doch jetzt, fast vier Monate nach der Landtagswahl, scheint es einen Ausweg zu geben – durch einen in der deutschen Landespolitik einmaligen Kompromiss. Doch halten die Absprachen zwischen Linke, SPD, Grünen und der CDU vom Freitagabend dem Gegenwind stand, der am Wochenende aufkam? Von CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak kam massive Kritik, auch von den Aspiraten auf den Parteivorsitz, Friedrich Merz und Jens Spahn. „Es geht hier um die Glaubwürdigkeit der CDU Deutschlands insgesamt“, sagte Ziemiak.

Was ist passiert? Die Thüringer CDU, die seit der Niederlage bei der Landtagswahl im Oktober mit dem Verlust von einem Drittel der Stimmen einen Zickzack-Kurs fuhr, ist über ihren Schatten gesprungen. Vier Unterhändler, darunter Parteivize Mario Voigt, vereinbarten nach stundenlangem Tauziehen am Freitagabend einen „Stabilitätsmechanismus“ mit Linkspartei, SPD und Grünen.

Danach will die CDU einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung bis zu Neuwahlen am 25. April 2021 projektbezogen zu Mehrheiten verhelfen. So soll erreicht werden, dass die AfD bei politischen Entscheidungen im Landtag nicht das Zünglein an der Waage ist. „Es ist eine Ausnahmesituation“, begründet Voigt den Schritt. Keinesfalls will er dies als Duldung oder Tolerierung einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung unter Bodo Ramelow (Linke) interpretiert wissen.

Doch nicht an dem Stabilitätspakt entspann sich der Unmut der Bundes-CDU. Vielmehr geht es beim Pochen auf den CDU-Unvereinbarkeitsbeschluss – er verbietet eine Zusammenarbeit mit der AfD, aber auch der Linkspartei – um die für den 4. März angesetzte Wahl Ramelows. Der 64-Jährige hat keine Mehrheit und braucht vier Stimmen von CDU oder FDP.

Wie genau das laufen soll, ist offen. Die Fraktion teilt schriftlich mit, sie wähle Ramelow „nicht aktiv als Ministerpräsidenten mit“. Auf den Landtagsgängen heißt es, nicht die Fraktion, aber einzelne Abgeordnete würden „aus staatspolitischer Verantwortung“ Ramelow wählen. Die FDP, die gar nicht erst zum Treffen gebeten wurde, sagt: „Ramelow kann nicht mit FDP-Stimmen rechnen.“ Aber mit Enthaltungen?

Warum bewegte sich die CDU jetzt? Es hängt wohl mit den Demonstrationen zusammen, mit dem Machtvakuum nach dem für 2. März avisierten Rücktritt von Fraktions- und Parteichef Mike Mohring – und mit dem Geld. Die 21 CDU-Abgeordneten müssen um ihre Wiederwahl akut bangen. Der Blick ins Abgeordnetengesetz, Paragraf 13, zeigt: Rund um den April ist jedes Jahr der Stichtag, an dem sie sich länger gezahlte Übergangsgelder und früher einsetzende und höhere Pensionsansprüche sichern.

Ab April werden halbe Dienstjahre im Landtag nämlich aufgerundet. Dann genügen 5,5 Jahre im Parlament für eine vierstellige Pension, nach derzeitiger Rechtslage 1509 bis 4164 Euro. Jedes zusätzliche Jahr im Parlament bringt den Abgeordneten auf zehn Jahre Ruhestand gerechnet grob geschätzt 20 000 bis 40 000 Euro insgesamt mehr. März wäre also zu früh, um mehr Geld zu erhalten. Die Neuwahl ist jetzt wohl nicht zufällig für April 2021 vorgeschlagen. Aus Verhandlungskreisen meldete unter anderem die „Zeit“, die CDU argumentiere intern auch mit diesen Ansprüchen.

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