Jetzt braucht auch Lindner starke Nerven

von Redaktion

Nach der Zitter-Nacht von Hamburg droht der FDP eine neue Führungsdebatte

Hamburg/München – Der Bundesvorsitzende trägt schwarz, im Rollkragenpulli tritt Christian Lindner am Wahlabend vor die Presse. „Wir werden starke Nerven brauchen“, sagt er düster, gemeint ist zunächst das Bangen um den Wiedereinzug in die Hamburger Bürgerschaft. Die Prognose ist aber auch mittelfristig nicht falsch. Falls die Liberalen beim Endergebnis aus der Bürgerschaft fallen, braucht auch Lindner selbst starke Nerven. In der FDP droht eine neue Führungsdebatte.

„Das K.o. für Lindner?“, so orakelt am Abend noch die „Bild“. Es gehe nun um seine Zukunft. Das ist nicht übertrieben. Der Parteichef selbst räumt am Sonntagabend, als die erste und zweite Hochrechnung exakt bei 5,0 Prozent landen, offen ein, dass die Hamburg-Wahl nicht in Hamburg verloren wurde. Er lädt nichts vor Ort ab, nichts bei Spitzenkandidatin Anna von Treuenfels (57), die der breiten Masse kaum bekannt war. „Ich weiß nicht, unter welch noch schwierigeren Bedingungen man Wahlkampf machen soll“, sagt Lindner. Seine Aktiven vor Ort seien „engagiert, charakterstark, überzeugungsstark“ gewesen – „aber dann kam das Fiasko von Thüringen“.

Nun, Thüringen ist eng mit Lindner verknüpft. Dem Bundesvorsitzenden entglitt die Kontrolle über die Vorgänge in Erfurt. Als FDP-Mann Thomas Kemmerich dort mit AfD-Stimmen zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, griff Lindner erst stundenlang gar nicht ein, dann mit einem verhaltenen Statement. Erst am Folgetag drängte er den Parteifreund zum Rückzug. Der Makel, die große liberale Partei der Republik mache mit Rechtsradikalen gemeinsame Sache, klebt seither wie Pech an der FDP. Auch in Hamburg wurden Kandidaten deshalb angegangen und Plakate zerstört. Mal um Mal muss Lindner derzeit öffentlich beteuern, sich strikt von der AfD abzugrenzen. Öffentlich bat er um Verzeihung, minutenlang im Bundestag, auch in Interviews warb er „um Entschuldigung eines schweren Fehlers“. Man habe die Skrupellosigkeit der AfD unterschätzt. Die FDP sei in eine taktische Falle geraten, ihr Wertekompass aber intakt.

Die Folge für Thüringen jedenfalls: Die FDP-Wähler flüchteten nach ersten Infratest-Daten vom Abend in alle Richtungen, je 3000 zu SPD und CDU, 6000 zu den Grünen. In einer Umfrage gaben 56 Prozent an, die FDP habe wegen Thüringen „einen Denkzettel verdient“. So ähnlich analysiert auch Bayerns FDP-Fraktionschef Martin Hagen die Lage. „Die Parteifreunde in Hamburg müssen die Thüringer Wirrungen ausbaden. Das haben sie nicht verdient.“ Hagen weiß, wovon er da spricht: Seine bayerische FDP steckt ja gerade drei Wochen vor der Kommunalwahl.

Lindner, der sehr betretene Mann im Pulli, sagt auch am Wahlabend nochmals, er könne zwar keine „Anweisungen“ an die Thüringer geben, übernehme aber „Verantwortung für den Umgang mit so einer Situation“. Nun wird sich zeigen, wie der Bundesvorstand mit dem Vorsitzenden umgeht. Unmittelbar nach Thüringen hatte Lindner im Gremium die Vertrauensfrage gestellt und klar gewonnen, 33 für ihn, einmal Nein, zwei Enthaltungen. Ob das noch Mal so ausgehen würde? Falls beim Endergebnis am heutigen Montag die FDP draußen ist, wird es wohl unangenehm für Lindner.

In der ARD sind am Abend heikle Daten auch für ihn persönlich zu sehen: 66 Prozent der befragten Hamburger sagen, der FDP fehle im Bund überzeugendes Führungspersonal. Lindner sagt auf die Frage nach persönlichen Konsequenzen: „Wir gewinnen gemeinsam und verlieren auch gemeinsam.“

CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER

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