Sehnsucht nach dem Ende des Chaos

von Redaktion

Nach dem Dammbruch der Wahl eines FDP-Ministerpräsidenten mit Stimmen der AfD soll nun ein Linker zurück ins Amt. Doch ob Bodo Ramelow am Mittwoch tatsächlich mit Hilfe von CDU- oder FDP-Stimmen gewählt wird, ist weiter offen.

VON SIMONE ROTHE

Erfurt – „Ich kann auch nicht in die Glaskugel sehen! Wir haben es nicht allein in der Hand.“ So antwortet Thüringens Linke-Chefin Susanne Hennig-Wellsow auf die immer wieder gestellt Frage, wie sicher die Wahl von Bodo Ramelow am 4. März zum Thüringer Ministerpräsidenten sei. Fast auf den Tag genau einen Monat nach der Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten, bei der erstmals in Deutschland AfD-Stimmen den Ausschlag gaben, wird in Thüringen ein neuer Versuch gestartet, zu einer Regierung zu kommen.

Der Ausgang ist nach wie vor offen. Eines ist für Hennig-Wellsow aber jetzt schon sicher: „Die Landtagssitzung am Mittwoch kriegt, egal, was passiert, das Prädikat historisch.“

Hitzig diskutiert wird nicht nur in Thüringen die Frage, wie es Ramelow anstellen will, überhaupt ins Amt zu kommen. Sein Dreierbündnis aus Linke, SPD und Grünen kommt nur auf 42 Stimmen im Landtag. Für die Wahl des 64-Jähringen im ersten Durchgang – und nur den soll es nach Meinung der Linken geben – sind jedoch mindestens 46 Stimmen nötig. Die fehlenden Stimmen könnten von der CDU kommen, vielleicht auch von FDP-Abgeordneten.

„Es ist eine Ausnahmesituation“, sagte CDU-Chefverhandler Mario Voigt zu der Stabilitätsvereinbarung, die der Tühringer Landesverband vor gut einer Woche gegen den Willen der Bundes-CDU mit dem Ramelow-Lager schloss. Sie beinhaltet eine befristete, projektbezogene Unterstützung einer möglichen rot-rot-grünen Minderheitsregierung – vor allem beim Haushalt 2021. Im Februar 2021 soll der Landtag aufgelöst und Neuwahlen eingeleitet werden.

In den Landtagsgängen in Erfurt wird spekuliert, wer bei der CDU und möglicherweise auch bei der FDP Ramelow seine Stimme geben könnte – obwohl beide Parteien mit der Ansage, Rot-Rot-Grün ablösen zu wollen, in die Landtagswahl gezogen waren. Definitiv kann das wohl niemand sagen – entschieden wird ganz allein in der Wahlkabine. Aber die Sehnsucht nach einem Ende des täglichen Chaos scheint groß zu sein. „Wir haben noch alle den 5. Februar im Kopf. Wir wollen jetzt endlich wieder einigermaßen normal arbeiten“, sagt einer von der CDU.

Argwöhnisch schaut Rot-Rot-Grün auf diesen Montag – da dreht sich das Personalkarussell bei den Christdemokraten. Partei- und Fraktionschef Mike Mohring tritt ab – viele kreiden ihm politische Fehler nicht nur beim Debakel der CDU bei der Landtagswahl mit dem Verlust von einem Drittel der Stimmen an. Die Wahl seines Nachfolgers an der Fraktionsspitze könnte ein Signal sein, ob die CDU weiter zum Kompromiss mit Rot-Rot-Grün steht. Die Bundes-CDU fordert weiterhin, es dürfe keine CDU-Stimmen für Ramelow geben. Das sei auch weder vereinbart noch notwendig, sagt Ramelow.

Was bleibt, ist die Angst vor erneuten Scharmützeln der AfD. Am Montag werde bis Fristende 14 Uhr entschieden, ob die AfD erneut einen Kandidaten ins Rennen schickt, kündigte Fraktionschef Björn Höcke an. Ihren letzten hatte die AfD am 5. Februar im dritten Wahlgang fallengelassen und Kemmerich gewählt.

Die Linke treibt auch um, dass die AfD tricksen könnte und Ramelow möglicherweise einen Teil ihrer Stimmen gibt. Der hat angekündigt, die Wahl nicht anzunehmen, wenn er erkennbar mit AfD-Stimmen ins Amt käme. Und dann? Neuwahlen, schnell, heißt es von Linke, SPD und Grünen. „Dass sich die CDU dem verweigern könnte, dafür fehlt mir die Fantasie“, so SPD-Fraktionschef Matthias Hey. Auch bei der Zwei-Drittel-Mehrheit für Neuwahlen braucht Rot-Rot-Grün die CDU – und dann all ihre 21 Stimmen.

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