5 FRAGEN AN
Angesichts der Lage an der EU-Grenze zur Türkei muss Deutschland nach Ansicht der Fraktionsvorsitzenden der Grünen, Katrin Göring-Eckardt, mehr Flüchtlinge aufnehmen.
Frau Göring-Eckardt, ist der Flüchtlingspakt mit der Türkei gescheitert?
Die Entwicklungen zeigen, dass es so nicht weiter geht. Es kann nicht sein, dass Erdogan die Flüchtlinge missbraucht, um Druck auszuüben. Auch darf sich die EU nicht länger freikaufen wollen, weil sie innerhalb der EU-Staaten keine vernünftige Verteilung der Flüchtlinge organisiert bekommt. Erdogan will in erster Linie seine Staatskassen mit EU-Geld füllen. Darum darf es aber nicht gehen.
Erdogan sagt, die Tore seien offen. Wie soll Europa darauf reagieren?
Zuallererst muss jetzt humanitär gehandelt werden. Die Flüchtlinge in der Türkei brauchen weiterhin die Hilfe der EU. Dann müssen sofort Gespräche mit Erdogan sowie der bulgarischen und der griechischen Regierung geführt werden. Die Anrainerstaaten brauchen die Unterstützung der anderen EU-Länder. Auch muss es um einen humanitären Korridor für die Flüchtlinge aus Idlib und dann um einen Waffenstillstand gehen.
Das ist leichter gesagt als getan. Droht eine Flüchtlingskrise wie 2015?
Die jetzige Eskalation in Nordsyrien wird erneut tausende Menschen in die Flucht treiben. Und natürlich geht es nicht darum, dass alle nach Europa wollen. Mein Eindruck ist: Diejenigen, die damals immer gesagt haben, wir wollen daraus lernen, haben offenbar nichts gelernt. Jetzt wäre der Moment, wo sich die Europäer zusammensetzen, um den Druck auf die Kriegsparteien in Syrien zu erhöhen. Darunter fallen für mich auch Individual-Sanktionen gegen Russland.
Keine Sanktionen gegen die Türkei?
Ich glaube nicht, dass Sanktionen gegen Erdogan etwas nützen würden. Die Türkei hat ohne Zweifel sehr viele Flüchtlinge aufgenommen. Das muss man anerkennen. Um deren anständige Versorgung durch Hilfsorganisationen muss es jetzt gehen. Denn wir erleben eine humanitäre Katastrophe.
Müssen Deutschland und Europa wieder mehr Flüchtlinge aufnehmen?
Natürlich. Wenn nicht alle Länder in Europa mitmachen, muss eine Allianz der Willigen vorangehen. Das heißt: Die Staaten, die wollen, nehmen mehr Flüchtlinge auf. Die anderen müssen dann entsprechend bezahlen. Es gibt in Deutschland viele Kommunen, die Kapazitäten haben und bereit sind, weitere Flüchtlinge aufzunehmen. Das sollten wir nutzen.
Interview: Hagen Strauß