München – Erfahrene Politiker am Nockherberg kennen die eiserne Regel: Lächeln, auch wenn’s dick kommt beim Derblecken. Wer mag schon vor laufender Kamera als beleidigte Leberwurst dastehen? Jetzt, wo der Starkbier-anstich mit den Polit-Promis wegen Corona verschoben wird, ist mit der Heiterkeit allerdings Schluss. Am Wochenende sind Münchens SPD-Oberbürgermeister Dieter Reiter und die CSU-geführte Staatsregierung sogar kräftig aneinandergerumpelt.
Reiter wirft der Staatsregierung zweierlei Maß vor. „Wie ich erfahren habe, soll die Vorprobe und die Generalprobe für die Aufführung des Singspiels wie geplant stattfinden, und zwar jeweils vor Publikum“, verbreitete er schriftlich. Wenn der Freistaat gleichzeitig den Politikern dringend zum Fernbleiben rate, „verstehe ich das überhaupt nicht“. Das sei weder logisch „noch politisch in irgendeiner Weise akzeptabel“.
Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) reagierte verschnupft. Natürlich richte sich die Empfehlung des Corona-Krisenstabs nicht nur an Politiker. Das sei „ein Gebot der Vernunft. Der Krisenstab ist der Ansicht, dass die geplante Nockherberg-Veranstaltung zahlreiche Coronavirus-Infektionsrisiken beinhaltet.“ Das habe man dem zuständigen Referat der Stadt auch mitgeteilt. Subtext: Reiter solle sich bitteschön besser informieren.
Der nüchterne Sachstand ist: Der Starkbieranstich mit Singspiel wird verschoben. Ein neuer Termin steht noch nicht fest. Die politische Debatte um den richtigen Umgang damit geht aber weiter. Reiter legte am Sonntag nach und verlangte klare Vorgaben vom Staat, welche Veranstaltungen stattfinden können: „Die Menschen fragen sich zurecht, warum die einen Veranstaltungen abgesagt werden, andere nicht.“ In der CSU hingegen heißt es, in ganz Bayern entschieden Landräte klug in ihrem Verantwortungsbereich, das schaffe irgendwie nur der Münchner Stadtchef nicht.
Die scharfen Töne sind neu. Bisher packten sich der rote Reiter und der schwarze Ministerpräsident Markus Söder meist betont respektvoll an. Am Sonntag ist allerdings Kommunalwahl, Reiter kandidiert. Und fährt gleich die nächste Attacke: Vor Journalisten kritisierte er am Freitag Trödelei des Freistaats beim Krisen-Management. Staatliche und private Kliniken müssten mehr Betten für Corona-Patienten zur Verfügung stellen: „Es kann nicht sein, dass hier fast nur die städtischen Kliniken ihrer Verantwortung gerecht werden.“
Auch hier protestiert die Staatsregierung. Am Samstag und Sonntag schaltete sich das Wissenschaftsministerium um Bernd Sibler (CSU) ein, um Reiter schriftlich über den Einsatz der Münchner Universitätskliniken zu belehren. Seit Tagen würden täglich die freien Bettenkapazitäten gemeldet, es gebe Platz am Campus Innenstadt, in Großhadern und am Klinikum rechts der Isar. Man habe bereits Patienten stationär aufgenommen. Das sei längst Thema in Gesprächsrunden mit der Stadt gewesen. Kam das bei Reiter nicht an?
Früher oder später wird das Virus auf allen Ebenen zur Polit-Sache. Im Landtag hatte vor allem die SPD in Gestalt der Münchner Abgeordneten Ruth Waldmann die Staatsregierung angegriffen. Sie informiere schlecht und lasse Ärzte und Pfleger allein. Im Bund hingegen gibt es bisher demonstrative Einigkeit. So lobten via „FAS“ Politiker von FDP, SPD und Grünen das Krisenmanagement von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU): Er habe „bislang alles richtig gemacht“.
CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER