Die Bedrohung heißt Europa

von Redaktion

Wochenlang hat Donald Trump das Coronavirus unterschätzt und verharmlost. Nun, da die Welle auch die USA mit Wucht trifft, wälzt er Verantwortung ab. Auf die EU, deren Bürger ab heute mehrheitlich nicht mehr einreisen dürfen.

VON MARC BEYER

München – Donald Trump wirkt sichtbar angespannt, als er seine Rede an die Nation beginnt. Er liest die Worte vom Teleprompter ab, manchmal stockt er, und was er sagt, klingt deutlich anders als das, was er in den vergangenen Wochen über das Coronavirus erklärt hat. Damals sprach er über Grippepatienten, von denen es so viel mehr gebe als bei dem neuartigen Virus, und erweckte den Eindruck, als wäre die globale Aufregung maßlos übertrieben. Am Mittwoch ist der Tonfall ungleich dramatischer. Da spricht er von einer „schrecklichen Infektion“.

Der US-Präsident wendet sich am Mittwochabend mit einer Botschaft an die Amerikaner, die einerseits die Korrektur einer Fehleinschätzung zum Ziel hat. Ausmaß und Bekämpfung der Corona-Krise werden ein weitaus größerer Kraftakt als behauptet. Seit Tagen klingen die Hiobsbotschaften im Land immer schriller. Experten schlagen Alarm, die Börsenkurse brechen ein. Zuletzt unterbrach die Basketball-Profiliga NBA den Betrieb, weil ein Spieler einen positiven Corona-Befund hat.

Die vergleichsweise niedrige Zahl an Infektionen in den USA (gestern lag sie bei 1323) liegt tatsächlich vor allem daran, dass anfangs kaum getestet wurde. Nun aber trifft die Welle auch die Staaten mit zunehmender Wucht. Und weil es nicht die Art des Präsidenten ist, eine Fehleinschätzung einzugestehen, weist er – das ist das zweite Ziel dieser Ansprache – die Verantwortung anderen zu. China, dem Corona-Urheber – und vor allem Europa. Explizit spricht Trump von einem „ausländischen Virus“, dem man gleichwohl die Stirn bieten werde. Corona werde „keine Chance gegen uns haben“.

Jenseits des Atlantiks, argumentiert Trump, habe man viel zu lange mit Reisebeschränkungen für China gewartet, in der Konsequenz sei das Virus massenhaft auch in die Staaten gelangt. Ab heute dürfen deshalb Bürger aus den 26 Ländern des Schengenraumes für 30 Tage nicht mehr in die USA einreisen. Ausgenommen sind etwa Großbritannien und Irland. Warum das so ist – schließlich gehört Irland weiter zur EU und im Vereinigten Königreich gibt es ebenfalls fast 500 Coronafälle –, erklärt Trump nicht. Weitere Unruhe löst er aus, als er irrtümlich behauptet, das Verbot gelte nicht nur für Personen, sondern auch für Güter. Später meldet sich das Weiße Haus mit einer Korrektur.

In Brüssel ist die Verstimmung groß. Für das transatlantische Verhältnis ist der Einreisestopp ein neuer Rückschlag in der an Widrigkeiten wahrlich nicht armen Ära Trump. Das Coronavirus sei „eine globale Krise, die nicht auf einen Kontinent begrenzt ist und Zusammenarbeit statt einseitiger Aktionen nötig macht“, betonen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel gemeinsam. Man missbillige, dass die Entscheidung „einseitig und ohne Rücksprache“ getroffen worden sei. Ein Sprecher der EU formuliert es unverblümter. Man werde nun versuchen, „die Logik“ zu finden hinter der Entscheidung, manche Länder in Haftung zu nehmen und andere nicht.

Trumps Beschluss hat Auswirkungen, die bis in die Reiseplanung des bayerischen Ministerpräsidenten reichen. Markus Söder wollte im April nach Washington und Texas fliegen, gestern Vormittag stornierte er die Pläne.

Der US-Präsident schaut derweil viel weiter in die Zukunft. Die Argumentationslinie für die nächsten Monate, wenn er gegen die unausweichliche Corona-Krise und einen demokratischen Präsidentschaftskandidaten zu kämpfen hat, ist nun gezogen. Die These vom ausländischen Virus und der Verantwortung der Anderen wird er noch oft bemühen.

Und nicht nur er. Schon kurz nach seiner Rede stellt sich Robert Redfield, der Leiter der US-Gesundheitsbehörde CDC, hinter seinen Präsidenten. Europa, sagt er, sei „die wahre Bedrohung“.

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