„Eine Warnung an die Feinde der Demokratie“

von Redaktion

Verfassungsschutz beobachtet den völkischen „Flügel“ – AfD will sich juristisch wehren und sagt Parteitag ab

Berlin – Neuerdings ziert ein kleiner düsterer Geheimagent die Homepage der AfD. Er trägt Trenchcoat und Hut, nur die Hände, zur Merkel-Raute geformt, stechen farbig heraus. „Der Verfassungsschutz hat die Verfassung zu schützen“, steht daneben. „Nicht die Regierung.“ Dass die Behörde politisch gesteuert sei, ist ein Klassiker der AfD-Legenden. Seit gestern hat er richtig Konjunktur.

Denn da trat ein, wovor sich die gesamte Partei stets fürchtete: Der völkische „Flügel“ steht nun offiziell unter Beobachtung des Verfassungsschutzes. Bei der Gruppe um den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke handele es sich um eine „rechtsextremistische Bestrebung“, sagt Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang, gestern Vormittag. Überhaupt findet er sehr deutliche Worte.

Der Rechtsextremismus habe unzählige Menschenleben und ganze Demokratien zerstört, sagt Haldenwang. Seine blutige Spur führe bis zu den Gewaltverbrechen von Kassel, Halle und Hanau. In den letzten 30 Jahren hätten Rechtsextremisten mehr als 200 Menschen getötet. Dann kommt er wieder auf die Gegenwart und den „Flügel“ zu sprechen. „Dies ist eine Warnung an die Feinde der Demokratie. Wir stehen zusammen und handeln.“

Höcke und den zweiten Führungsmann des „Flügels“, Brandenburgs AfD-Chef Andreas Kalbitz, nennt Haldenwang klar und deutlich „Rechtsextremisten“. Das ist vor allem mit Blick auf Kalbitz bemerkenswert, der im Bundesvorstand der Partei sitzt. Er nennt die Entscheidung des Verfassungsschutzes gestern „sachlich unbegründet und politisch motiviert“. Jetzt würden alle juristischen Register gezogen, um sie rückgängig zu machen.

Es ist in der Tat ein Desaster für die Partei. Ein fünftel aller AfD-Mitglieder – rund 7000 –sollen dem „Flügel“ angehören, der zwar nur eine informelle Vereinigung, aber dafür gut organisiert ist. Sie können jetzt vom Nachrichtendienst observiert werden, auch Informanten können angeworben werden. Gerade für Angestellte im öffentlichen Dienst kann die Beobachtung Folgen haben. Sie werden „Probleme mit der Dienststelle kriegen“, sagt Haldenwang. Auch Höcke ist übrigens Beamter, Lehrer im Fach Geschichte.

Wer von den 89 Abgeordneten im Bundestag und den vielen Landtagmitgliedern zum „Flügel gehört, lässt sich kaum beziffern. In der 20-köpfigen bayerischen Landtagsfraktion sind die „Flügel“-Anhänger stark vertreten. Die bekannteste unter ihnen dürfte Fraktionschefin Katrin Ebner-Steiner sein.

Um die Vorhaltungen des Verfassungsschutzes zu entkräften, hatte die AfD noch am Mittwoch Stellungnahmen von Parteifunktionären veröffentlicht, die frühere Äußerungen zum Islam, zur Einwanderung und zur Abschiebung abgelehnter Asylbewerber „klarstellen“ sollten. Es half nichts. Nur die Nachwuchsorganisation Junge Alternative (JA) entging der Höherstufung vom Verdachts- zum Beobachtungsfall. Dafür fehlten aktuell Anhaltspunkte, sagt Haldenwang. Die JA-Programmatik sei inzwischen deutlich moderater.

Es mag seltsam klingen, aber nicht jeden in der AfD dürfte die Beobachtung des „Flügels“ aus der Bahn werfen. Zwar würde kein Funktionäre offensiv Beifall klatschen, Kritik an Höckes Gruppe gibt es aber immer wieder. Jenseits der AfD stößt die Entscheidung des Verfassungsschutzes auf offene Zustimmung. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, sagt, für ihn sei längst klar, dass vom „Flügel“ eine „massive Gefahr für unsere Demokratie und unsere offene und pluralistische Gesellschaft ausgeht“.

Jetzt muss sich die Partei erst mal sortieren – und hat dafür etwas mehr Zeit als gedacht: Gestern sagte sie wegen der Corona-Krise den für Ende April geplanten Bundesparteitag ab. MARCUS MÄCKLER

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