München – Bergamo ist ein zentraler Ort der Corona-Krise, doch wie dramatisch die Zustände in der norditalienischen Stadt wirklich sind, konnte man sich als Außenstehender bisher nicht ausmalen. Jetzt schon. Seit Mittwoch kursieren Bilder, die Särge zeigen, dicht an dicht aufgereiht. Und Militärkolonnen, die die Särge in Nachbarregionen und zu Krematorien bringen. Die Leichenhallen der Stadt sind überfüllt.
Am Mittwochabend war die Zahl der neuen Todesopfer in Italien so hoch wie nie. 475 innerhalb von 24 Stunden. Am Donnerstag lag die Zahl der neuen Todesopfer ähnlich hoch. Insgesamt sind damit in Italien 3405 Menschen gestorben – mehr als bisher in China. Eine Studie, die das italienische Institut für Gesundheit (ISS) gerade veröffentlichte, schlüsselt den gewaltigen Wert nach Altersgruppen und gesundheitlichen Vorbelastungen auf. Das ISS untersuchte 2003 Todesfälle. Das Durchschnittsalter betrug 79,5 Jahre. Bei 70 Prozent der Personen handelte es sich um Männer. 707 waren zwischen 70 und 79 Jahre alt, 852 zwischen 80 und 89, 198 waren 90 und älter. Insgesamt lag der Anteil der über 69-Jährigen bei 87,7 Prozent. Nur 17 waren unter 50.
Rund ein Dutzend Vorerkrankungen haben die Wissenschaftler ermittelt, am häufigsten Bluthochdruck, aber auch Diabetes oder Herzbeschwerden. Fast die Hälfte aller Patienten (48,5 Prozent) litt unter mindestens drei Erkrankungen, weitere 25,6 unter zweien. Lediglich bei drei von 2003 Verstorbenen wurden keinerlei Vorbelastungen festgestellt.
Einerseits bestätigen die Zahlen die verbreitete Auffassung, wonach ältere Personen und solche mit vorhergehenden Beeinträchtigungen einem besonders hohen Risiko ausgesetzt sind. Gleichwohl ist das Gefühl, man könne als jüngerer, gesünderer Mensch mit einer milderen Ausprägung rechnen, trügerisch und wird dem Ausmaß nicht gerecht. Diese Lesart lässt außer Acht, dass sowohl jüngere Infizierte als auch die vielen symptomfreien, nicht getesteten Personen ein Multiplikator des Virus sind.
Dazu passt eine weitere Studie, die diese Woche veröffentlicht wurde. Die Stiftung GIMBE geht davon aus, dass die Corona-Dunkelziffer immens ist und sich aktuell bereits weit mehr als 100 000 Italiener infiziert haben – dreimal so viel wie offiziell festgestellt. Tatsächlich sind in vielen Ländern die Testverfahren so lückenhaft, dass Patienten, die beschwerdefrei sind, oft gar nicht erfasst werden. Nicht nur deshalb lassen sich die Zahlen selbst unter europäischen Nachbarn nur schwer vergleichen.
Dass Italien dramatischere Werte aufweist als Frankreich oder Spanien, wo es wiederum erheblich mehr Tote gibt als zum Beispiel in Deutschland, liegt neben der Qualität der Gesundheitsversorgung und der Zahl an Beatmungsplätzen zum Teil auch an einem speziellen Aspekt der Testpraxis. Italiens Behörden untersuchen auch Tote auf eine mögliche Infektion und stufen sie nachträglich als Corona-Opfer ein. Das kann eine Statistik erheblich beeinflussen. Im Umkehrschluss erscheinen in anderen Ländern Infizierte womöglich nie in den offiziellen Erhebungen. mb