München – Am Ende ist den drei Hauptbeteiligten anzumerken, dass es kein angenehmer Sonntagnachmittag war. Armin Laschet tritt vor die Kameras, seine Stimme ist so heiser, als habe er gerade ausführlich geschrieen, er gestikuliert mit geballter Faust. Markus Söder nimmt ein Statement auf mit grimmiger Miene, ein Ministerpräsident könne nicht „ein, zwei, drei Tage“ mit Entscheidungen warten. Und Angela Merkel sagt in Berlin vor Journalisten, sie habe eine „lebendige Diskussion“ erlebt, „das geht durchaus zur Sache“.
Das ist keine Übertreibung, nach allem, was aus der Telefonrunde aller Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin zu hören ist. Demnach sind dort NRW-Regent Laschet und der Bayer Söder heftig aneinander geraten. Laschet und mehrere Kollegen waren sauer, dass der Freistaat zweimal in der Corona-Krise vorgeprescht war, statt eine einheitliche Linie der Länder abzuwarten – vorletzte Woche bei den Schulschließungen, am Freitag bei den strengen bayerischen Ausgangsbeschränkungen.
Hinter Söders Rücken hatte Laschet offenbar bis Sonntagmittag versucht, eine Gegenstrategie zu entwickeln. Er brachte die Kollegen Volker Bouffier (Hessen, CDU) und Manuela Schwesig (Mecklenburg-Vorpommer, SPD) auf seine Seite. Söder wiederum hält Laschets Vorgehen in der Krise für viel zu lahm und langsam. Er könne ein langes Warten nicht verantworten, grollte der CSU-Chef.
Als er von Laschets Intrige in der laufenden Telefonrunde erfuhr, soll Söder gedroht haben, die Konferenz zu verlassen – außergewöhnlich, er leitet die Runde ja turnusgemäß. Merkel griff offenbar mit einem Konzept schlichtend ein. Es sieht statt der bayerischen „Ausgangsbeschränkungen“ nun „Kontaktverbote“ ab mehr als zwei Personen vor. Groß ist der Unterschied nicht. Im Ergebnis steht nun, dass sich die Länder auf ein Konzept geeinigt haben, das fast das bayerische Modell ist, aber anders heißt – und sich Bayern dem nicht anschließt. Im Freistaat gilt weiterhin die am Wochenende verkündete Ausgangsbeschränkung. Die Lage in den Ländern sei eben sehr unterschiedlich, sagte Merkel. Gleichzeitig gibt es in Bayern erhebliche Zweifel, wo die Kanzlerin selbst steht. Sie habe noch gut eine Woche warten wollen, heißt es in München.
Viel Verwirrung also, und blanke Nerven. Das hat zunächst inhaltliche Gründe, weil Bayern, Baden-Württemberg und das Saarland durch ihre Außengrenzen hohen Fallzahlen ausgesetzt waren und möglichst rasch handeln wollten. Söder soll von mehreren Ministerpräsidenten am Freitag explizit Dankes-SMS für sein Vorpreschen bekommen haben. Hinzu kommt allerdings eine machtpolitische Frage: Laschet kandidiert als CDU-Chef, will Kanzler werden. Er wollte sich nicht öffentlich vom derzeit sehr populären Söder treiben lassen. Das Zerwürfnis vom Sonntag dürfte in der Union Folgen haben. In der CSU wird schroff über Laschet und seine Tauglichkeit für höhere Ämter geschimpft. Söder soll persönlich schwer enttäuscht sein. Vorerst hat das zwar wenig Relevanz, der CDU-Parteitag ist ja auf unbestimmte Zeit verschoben; mittelfristig werden nun aber viele Karten in der Union neu gemischt.
In Bayern sind Söders Maßnahmen übrigens politisch Konsens. Vertreter von Grünen, SPD, FDP und AfD in Bayern stellten sich am Wochenende hinter die Ausgangsbeschränkungen, mehrere Bundespolitiker dieser Parteien dagegen. „Es wäre besser, wenn die Länder, wie vereinbart, mit der Kanzlerin abgestimmt handeln würden, erklärte der SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans vor der Länder-Schaltkonferenz. Die Grünen-Bundesvorsitzende Annalena Baerbock bezeichnete Söders Kurs als „kontraproduktiv“.
Söders Vorvorgänger Edmund Stoiber (CSU) sagte unserer Zeitung hingegen, die Entscheidung sei „absolut richtig“, es habe keine andere Wahl bestanden. Es sei das „Problem von Laschet und den anderen“, dass es trotz fast täglicher Abstimmung lange „keine einheitliche Entscheidung gab“.