Berlin – Es klingt bestechend: Das Handy soll zum Mitstreiter gegen das Coronavirus werden. Wer Kontakt hatte zu einem Infizierten, könnte über die Standortdaten seines Mobiltelefons ermittelt und informiert werden. Im ersten Anlauf ist Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) mit der Idee gescheitert. Nach Ostern dürfte das Thema zurückkehren. Wir klären die wichtigsten Fragen:
Welche Ortungsdaten kann man von Smartphones bekommen?
Es gibt im Kern zwei Wege, Informationen über die Position eines Mobiltelefons zu bekommen: darüber, in welche Funkzelle es eingebucht ist – also welche Masten Daten übermitteln – , und über Satelliten-Systeme zur Positionsbestimmung wie GPS oder Galileo.
Was davon ist präziser?
Die Satelliten-Ortung ist auch in der Verbraucher-Version bis auf wenige Meter genau. Durch den Datenschutz in den beiden Smartphone-Betriebssystemen – Googles Android und dem iOS von Apple – ist der Zugriff auf den GPS-Chip aber nur mit Zustimmung des Nutzers möglich. Deshalb ist die gangbarste Lösung eine App, bei der Verbraucher freiwillig ihre Positionsdaten freigeben.
Wie genau sind Funkzellen-Daten?
In einer Funkzelle kann man die ungefähre Position eines Telefons am Abstand zu Sendemasten bestimmen. Allerdings geht das selbst in Innenstädten mit dicht gesäten Antennen nach Angaben von Experten bestenfalls auf etwa 50 Meter genau. In Vororten oder auf dem Land ist das Ergebnis noch weniger präzise.
Würde man jede Kontaktperson sammeln?
Nein. Man müsste die Ergebnisse sinnvoll eingrenzen. „Man kann nach Überschneidungen suchen, wie oft und wie lange jemand an der gleichen Stelle wie jemand anderes war“, sagt Fabian Theis, der sich am Münchner Helmholtz Zentrum mit der mathematischen Modellierung biologischer Prozesse beschäftigt. Diese Informationen könne man mit Geoinformationsdaten abgleichen – um etwa herauszufinden, ob an diesem Ort ein Café oder ein Park ist.
Ist das alles wirklich nötig?
Es gibt hier widerstreitende Interessen. Bisher haben Bund und Länder zur Eindämmung des Coronavirus auf Blankomaßnahmen gesetzt – vor allem Ausgangsbeschränkungen. Wenn man die Zahl potenziell infizierter Menschen stärker eingrenzen könnte – etwa über Handydaten –, wäre die Lockerung der Regeln für andere weniger riskant. Politik und Gesellschaft müssen Datenschutz und Bewegungsfreiheit gegeneinander abwägen. Es gibt aber auch ganz andere Überlegungen, etwa eine starke Ausweitung an Tests oder mehr Vorsicht bei Risikogruppen und mehr Bewegungsfreiheit für andere.
Welche Daten übergab die Telekom bereits dem Robert-Koch-Institut?
Das waren anonymisierte Daten, die ausschließlich Rückschlüsse darüber erlauben, wie viele Telefone sich in welchen Gebieten bewegt haben. Das RKI erhofft sich davon Erkenntnisse darüber, ob die bisherigen Maßnahmen funktionieren.
Was sagen Datenschützer?
Die Weitergabe der anonymisierten Telekom-Informationen stufte der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber als rechtskonform ein. Zugleich mahnte er: „Ich sehe, dass in anderen Staaten während der Corona-Pandemie der Datenschutz teilweise vernachlässigt wird.“ In Deutschland ließen sich alle Lösungen aber auch grundrechtskonform gestalten.
Wie machen es andere?
Das israelische Gesundheitsministerium ließ eine App entwickeln, mit deren Hilfe Nutzer über den Kontakt mit Coronavirus-Infizierten informiert werden sollen. Sie unterrichtet Nutzer, wenn sie sich in den 14 Tagen vor einem positiven Coronavirus-Test in der Nähe eines infizierten Menschen aufgehalten haben. Die App verfolgt die Standorte der Nutzer und gleicht sie mit den Informationen des Gesundheitsministeriums ab. Israel erlaubt dem Geheimdienst auch den Einsatz von Überwachungstechnologie, die sonst zur Terrorbekämpfung dient. Dabei geht es um die Handyüberwachung Erkrankter. Auf Apps mit GPS-Zugang setzen auch Singapur und Österreich. Südkorea übermittelt an Smartphones sogar Informationen über Alter, Geschlecht und letzten Aufenthaltsort von Infizierten in der Nähe. China setzt auf sein System sozialer Kontrolle, das unter anderem mit Gesichtserkennung funktioniert. ANDREJ SOKOLOW