Corona: Weltweit eine Million Infizierte

von Redaktion

Die weltweite Zahl der Corona-Infizierten überspringt die Marke von einer Million. Der Schwerpunkt hat sich vom Fernen Osten weit in den Westen verlagert, längst hat das Virus auch die USA ins Chaos gestürzt. Zwischen den Großmächten ist ein Kampf um Schuld und Deutungshoheit entbrannt.

VON MARC BEYER

München – Das Coronavirus in exakten Zahlen zu bemessen, ist unmöglich. Jede Statistik wird während des Erstellens von der Realität überholt, ständig gibt es neue Infizierte, neue Todesfälle. Einige Zahlen aber haben mehr Bestand als andere. In der Nacht auf heute wurde der 1 000 000. Patient registriert, und das ist nicht die einzige prägnante Marke, die in diesen Tagen fällt. Am Mittwochabend lag die Zahl der positiven Fälle allein in den USA bei weit über 220 000. In Deutschland fordert das Virus nun tausend Todesopfer, weltweit 50 000.

Angefangen hat alles in China. Man kann das vor lauter Krisenmeldungen aus aller Welt fast schon vergessen, denn aus dem Land selbst ist wenig Kritisches zu hören. Es ist so ruhig, dass die Stille die Ohren betäubt. Längst bewirken die scheinbar erfreulichen Zahlen das Gegenteil. Sie nähren neues Misstrauen.

In einem Bericht ans Weiße Haus äußerte der US-Geheimdienst vorige Woche massive Zweifel an den Zahlen. Zu diesem Zeitpunkt lagen die Länder noch nah beieinander. Mittlerweile hat China offiziell nicht mal halb so viele Erkrankte (rund 82 400) wie die Staaten – die den Höhepunkt noch vor sich haben. Das ist selbst mit Maßnahmen wie der Abriegelung von Provinzen nicht zu erklären.

Die Frage, wer wie mit Corona umgeht, ist zu einem Fernduell zwischen den beiden Großmächten geworden, in dem es um Schuld ebenso geht wie um Deutungshoheit. In seiner Rede an die Nation sprach Donald Trump von einem „ausländischen Virus“, später wurde es das „chinesische Virus“. Die Formulierung gab er erst vor wenigen Tagen auf, Grund waren Anfeindungen gegen US-Bürger mit asiatischen Wurzeln.

Umgekehrt versucht auch Peking, seine Rolle umzudefinieren und sich vom Urheber zum Opfer des Virus zu machen. Diese Woche warnten die Behörden vor einer zweiten Welle. Auslöser seien Personen, die den Erreger aus dem Ausland ins Land trügen.

Gestern machte eine weitere markante Zahl die Runde. Die Infizierten in Europa nahmen auf über 500 000 zu. Der Kontinent ist damit aktuell der Corona-Hotspot, aber das dürfte sich bald ändern, wenn der US-Trend so bleibt.

Es gibt zwei Möglichkeiten, die Statistik eines Landes zu lesen. Von der Frage, ob man den Anfang oder das Ende betrachtet, hängt ab, wie viel Optimismus die Zahlen erlauben. Die Behörden in Spanien verbreiteten gestern die niederschmetternde Bilanz, dass innerhalb eines Tages fast tausend Menschen starben und die Gesamtzahl der Toten nun bei über 10 000 liegt. Nur in Italien sieht es düsterer aus.

Aber selbst diese Botschaft birgt ein Fünkchen Hoffnung. Der Anstieg der Neu-Infektionen flacht ab, in zehn Tagen von 25 auf 7,9 Prozent. Die Kurve macht Mut, ist allerdings noch nicht annähernd flach genug. Und während die Zahlen allmählich sinken, bleibt der traurige Trend bei den Toten ungebrochen.

In Italien, wochenlang Europas Hotspot, ist man mittlerweile zumindest ein bisschen weiter. Gestern vermeldeten die Behörden zwar 760 Tote – aber mit 4668 neuen Fällen nur 4,2 Prozent mehr.

Auch in Großbritannien braut sich etwas zusammen. Die Zahl der Infizierten, aktuell rund 34 000, ist nur deshalb so niedrig, weil kaum getestet wurde. Aber schon diese Zahl reicht aus, um das Gesundheitssystem an seine Grenzen zu bringen. Es gibt mehr als 2900 Tote. Premier Boris Johnson, selbst in Quarantäne, kündigte an, man werde Tests „massiv ausweiten“. Was Politiker so sagen, wenn sie frühere Versäumnisse durch Aktionismus vergessen machen wollen.

Deutschland steht in dieser Sicht relativ gut da. Die Zahl der Kranken ist hoch, die der Todesopfer dagegen moderat. Bei den genesenen Patienten belegt das Land weltweit den dritten Platz. Manche Kurve macht Hoffnung. Aber so richtig beruhigt kann auch hier niemand sein.

In China geht man derweil zum Gegenangriff auf die USA über. Das Außenministerium wehrte sich gestern mit scharfen Worten gegen den Verdacht, man verheimliche etwas. Das sei bloß der Versuch, „die eigene Schuld auf andere abzuwälzen“, sagte eine Sprecherin und verwies auf den Einreisestopp, den die Staaten Anfang Februar gegen Chinesen verhängten. „Kann uns mal jemand sagen, was die USA in den folgenden zwei Monaten gemacht haben?“ Jenseits aller Polemik ist das eine Frage, die man sich auch in anderen Teilen der Welt schon gestellt hat.

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