München – Er wirkt ein wenig, wie ein Autofahrer, der im dichten Nebel unterwegs ist. Markus Söder muss den Freistaat durch die Corona-Krise lenken. Er weiß, wo er hin will, nur den Weg kennt er nicht genau. Am Anfang ist er entschlossen losgefahren, was alle gut fanden. Doch inzwischen wird die Kritik hier und da lauter. Söder versucht deshalb, Hindernissen auszuweichen und seinen Kurs nachzujustieren. Und weil er – anders als die Bundeskanzlerin – täglich vor die Presse tritt, kann man ihm dabei gut zuschauen.
Am Montagabend steht der Ministerpräsident beim Interview mit dem Bayerischen Rundfunk. Die Laune ist allenfalls mittel. Gerade machen die ersten Schlagzeilen die Runde, Österreich plane eine schrittweise Lockerung der scharfen Anti-Corona-Maßnahmen. „Ich bin mir noch nicht ganz sicher, ob das Modell eins zu eins taugt, denn es ist an einigen Stellen nicht sehr konsequent“, raunzt Söder. Und erinnert daran: „Die Hauptinfektionen in Bayern und großen Teilen von Deutschland kommen ja aus Österreich. Wir haben uns ja sozusagen über das Skifahren infiziert.“
Das ist wenig freundlich, und Beobachter staunen. Schließlich gilt das Verhältnis von Söder zum österreichischen Kanzler Sebastian Kurz als ausgezeichnet. Man steht im engen Austausch. Zudem galt Österreich mit seinen scharfen Corona-Maßnahmen als Taktgeber für die bayerische Politik. Auch in Wien registriert man den Auftritt erstaunt. Und auch dass Söder einen Tweet des BR-Chefredakteurs weiterverbreitet, der das Interview so zusammenfasst: „Auffallend oft hat Söder sich von einzelnen Punkten der österreichischen Corona-Lockerungsmaßnahmen abgegrenzt.“ Öffentlich sagt Kurz in der „Bild“: „Wo ich nicht gerne mitmache, ist der Versuch, anderen die Schuld zu geben für die Ausbreitung im eigenen Land.“ Allerdings wolle er Versäumnisse „lückenlos aufklären“.
Am Mittag danach ist der Ärger verflogen. Plötzlich nennt Söder seine „Sympathie für das Wiener Modell“, das er für „sehr ausgewogen“ hält. Den erstaunlichen Meinungswandel erklärt er mit der genaueren Lektüre der österreichischen Bestimmungen am Morgen. Dabei heißt es in Wien, man habe Berlin und München vorab informiert. Wie dem auch sei: „Österreich hat keinen Exit gemacht, sondern eine Anpassung“, findet Söder. Und diese Linie ist ihm deutlich sympathischer: Schulen, Restaurants und Hotels bleiben noch zu. „Wer zu früh lockert, könnte einen Rückfall verantworten“, mahnt Söder.
„Nach Ostern werden Perspektiven entwickelt und abgestimmt – bayerische speziell, aber auch im Bund.“ Bei der Einführung der Beschränkungen war Bayern vorgeprescht, was nicht allen Kollegen gefallen hatte, Söder in der Bevölkerung aber viel Lob beschert hatte. Jetzt sagt er, der Alleingang eines Bundeslandes sei falsch – und dankt der Kanzlerin für die „tägliche Kommunikation“.
Klar ist: Die Öffnung wird schrittweise erfolgen und unter Auflagen: Abstände und Desinfektionen, am Arbeitsplatz und im öffentlichen Nahverkehr. Und natürlich werde es am Ende eine Maskenpflicht geben. „Wo es keine Änderung geben wird und kann, sind die Bereiche, wo es kaum möglich ist, Abstand zu halten“, sagt Söder und zählt auf: die Gastroszene, Clubs, Diskotheken, Hotels und auch bei Veranstaltungen. „Wenn Österreich die Veranstaltungen bis Juni definitiv absagt, kann man sich ungefähr vorstellen, was das für uns mit drei Wochen Abstand bedeutet.“
Söder fährt auf Sicht. Vorne sieht er die Rücklichter Österreichs. Wie es aussieht, lenkt er Bayern weiter hinterher.