In der CSU wächst Ärger über Aiwanger

von Redaktion

Vorstoß zu „Ersatz-Wiesn“ irritiert Ministerkollegen – „Nicht in den Rücken fallen“

München – Manchmal gibt es auch für einen Minister Momente, für die man sich hinterher in Grund und Boden schämen möchte. Bei Hubert Aiwanger war das vermutlich das Starkbierfest in Ismaning am 7. März. Emsig händeschüttelnd zog er ins Zelt ein. „Gut, dass Sie das Fest nicht abgesagt haben“, rief er den Organisatoren von der Bühne aus zu und lobte ihren Mut. Starkbierfeste seien „der natürliche Feind des Coronavirus“, verkündete er, so berichten lokale Journalisten.

Nun ja. Wenige Wochen später sind alle Beteiligten klüger. Bierfeste erwiesen sich als übelster Infektionsherd, viele Fest-Orte gerade in Süd- und Ostbayern sind jetzt die dunkelsten Corona-Hotspots. „Bayerns fatale Liebe zum Starkbier“, titelte der „Spiegel“ dieser Tage.

Aiwanger, das macht ihn sympathisch, haut lieber einen flotten Spruch raus als eine von fünf Pressesprechern gedrechselte Verlautbarung. Jetzt muss man aber doch an seinen Starkbier-Auftritt zurückdenken. Der Wirtschaftsminister sorgt erneut mit Fest-Zitaten für Ärger. Via „Bild“ verlangt der Freie-Wähler-Chef eine „Ersatz-Wiesn“ mit weniger Tischen und mehr Abstand. Man müsse sich „unbedingt jetzt darüber den Kopf zerbrechen“. Wenn sich die Lage in den nächsten Wochen entspanne, „wäre es fatal zu sagen, die Wiesn ist ersatzlos gestorben“.

Dazu muss man wissen: Ein paar Stunden zuvor hatte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) mit trauriger Stimme die Absage des Oktoberfests verkündet – komplett. „Irgendwelche Kleinfeste und halbe Alternativen bringen nichts“, sagte er.

Aiwanger konterkariert Söders Kurs – nicht zum ersten Mal. Seit Wochen spitzt sich in der Koalition die Lage zu. Stets fordert Aiwanger, seine Partei oder seine Fraktion einen lockereren Kurs als Söder; zuletzt am Sonntag mit einem Positionspapier für eine schnelle Öffnung aller Läden und Wirtshäuser. Auch bei Sportvereinen fordern sie eine zügige Lockerung. Das Knirschen in der Koalition ist unüberhörbar. Aiwangers Abgeordnete wehren sich sogar gegen Pläne der anderen Fraktionen, auf die Diätenerhöhung im Juli zu verzichten.

Die Freien Wähler wollen wohl Söders dominantem Auftreten etwas entgegensetzen. Eine heimliche Aufgabenteilung – Söder punktet mit strikter Linie, Aiwanger fängt Wähler auf, denen die Einschnitte zu groß sind – wird in der CSU dementiert. Dabei hatte der Niederbayer eigentlich in der Corona-Krise in eine aktive Rolle gefunden: Er eilte durchs Land und räumte Betrieben, die auf Maskenproduktion umschalten, persönlich Hindernisse aus dem Weg. Sein hemdsärmeliges Auftreten wirkte im Vorjahr, als Bayerns großes Hightech-Programm auszutüfteln war, noch provinziell – jetzt kam es als zupackend an.

Die Wiesn-Idee wird von der CSU nun schroff abgelehnt. „Die ganze Welt schaut in Sachen Oktoberfest auf uns, und bei uns beginnt man einen Diskussion darüber, wie wir aus der Wiesn eine Verlegenheitslösung kreieren“, schimpft Finanzminister Albert Füracker (CSU) gegenüber unserer Zeitung. Die Absage sei niemandem leicht gefallen. „Da gilt es jetzt solidarisch zu sein und den Verantwortlichen nicht in den Rücken zu fallen.“ Der CSU-Sozialpolitiker Thomas Huber sagt, auch bei einer „kleinen“ Wiesn sei die Situation in Corona-Zeiten unbeherrschbar, es drohten neue Virenschleudern. „Mit Verlaub: Von einem stellvertretenden Ministerpräsidenten erwarte ich mir mehr Verantwortungsbewusstsein.“

CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER

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