München – Im vergangenen Sommer schlugen 106 Seiten im deutschen Gesundheitswesen ein wie eine Bombe. In ihrer Studie „Zukunftsfähige Krankenhausversorgung“ empfahl die Bertelsmann-Stiftung, mehr als die Hälfte der Krankenhäuser zu schließen. Statt mit bundesweit knapp 1400 komme das Land auch mit weniger als 600 Häusern aus – und die Qualität der Behandlung würde dadurch noch steigen. Mit deutlich weniger, aber dafür größeren Häusern wären eine bessere Ausstattung, eine höhere Spezialisierung sowie eine bessere Betreuung möglich.
Je nachdem, wen man damals darauf ansprach, sorgte diese Einschätzung für bestätigendes Kopfnicken oder blankes Entsetzen. Auf Landkreistag-Präsident Christian Bernreiter (CSU) traf immer eher letzteres zu. Kein Wunder. 58 Prozent der 372 akutstationären bayerischen Kliniken sind in kommunaler Hand. Sie sehen sich durch solche Pläne bedroht.
Mitte März, acht Monate nach Erscheinen der Studie, traf Bernreiter am Rande einer Kabinettssitzung in München nun auf Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Bei dieser Gelegenheit habe er Spahn gefragt, was der jetzt eigentlich machen würde, wenn es in Bayern tatsächlich nur so wenige Kliniken gäbe wie in Dänemark – dem großen Vorbild für ein zentralisiertes Krankenhaussystem. „Da kam nur Achselzucken“, erzählt Bernreiter unserer Zeitung.
Der Landkreistag-Präsident ist überzeugt davon, dass das Coronavirus Deutschland härter getroffen hätte, wenn das Land nicht über eine so flächendeckende Versorgung mit auch kleineren Häusern verfügen würde. „Wir konnten die Patienten gut trennen, indem wir einzelne Kliniken zu Covid-Häusern erklären konnten.“ Ein Vorteil, den andere Länder nicht hätten. „Aber dafür braucht man eben den Platz.“
Die Krise hat also gezeigt, dass ein üppiges Gesundheitssystem nicht nur viel Geld kostet, sondern auch Leben retten kann. „Die Pläne, kleine Krankenhäuser abzubauen, sind immer falsch gewesen“, sagte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) jüngst. Deutlich wie nie.
Die Verfasser der Bertelsmann-Studie sehen das hingegen noch immer anders. Gerade in außergewöhnlichen Belastungssituationen wie jetzt könne man es sich doch nicht leisten, die knappen Ressourcen auf viele Kliniken aufzuteilen. Die Krankenhäuser sollten sich „auf die Fälle konzentrieren, die eine stationäre Behandlung tatsächlich benötigen“, schreiben die Experten. Gleichzeitig müssten ambulante Versorgungsangebote gestärkt werden. Um die Reduzierung von Intensivbetten sei es aber nie gegangen.
Von Krankenkassen kommt Unterstützung. „Wir haben in Deutschland eine extrem hohe Krankenhaus- und Bettendichte, aber in vielen Krankenhäusern mangelt es dennoch an Expertise und Kapazitäten, Corona-Schwersterkrankte adäquat zu versorgen“, sagt BKK-Landesvorsitzende Sigrid König unserer Zeitung. Regelversorgung und Ausnahmesituation seien unterschiedlich zu organisieren. Doch in beiden Bereichen müsse gelten: „Mehr Klasse statt Masse.“ Eine Strukturreform sei wichtiger denn je.
Und selbst der Chef der Bayerischen Krankenhausgesellschaft (BKG) gesteht der Studie einen „wahren Kern“ zu. Die Experten seien aber übers Ziel hinaus geschossen. „Wir müssen einen sinnvollen Mittelweg zwischen der Konzentration von Fachwissen und flächennaher Vorortversorgung finden“, sagt Siegfried Hasenbein unserer Zeitung. Das entscheidende Problem erkennt er im Finanzierungssystem. Die Entlohnung über Fallpauschalen zwinge kleine Häuser zu Behandlungen, die nicht ihrer eigentlichen Funktion und nicht ihren Kompetenzen entsprechen, aber finanziell notwendig sind.
„Wir müssen raus aus diesem Hamsterrad“, sagt der BKG-Chef. Die Vorhaltekosten für kleinere Kliniken, die für die Grundversorgung systemrelevant sind, müssten künftig anders finanziert werden. „Die Feuerwehr bezahlt man ja auch nicht nach der Zahl ihrer Einsätze.“
Kassenchefin fordert mehr Klasse statt Masse