München – Aus der CSU-Parteizentrale dringen an diesem Tag seltsame Laute – sie stammen vom Chef selbst. Markus Söder hat mit seiner Stimme zu kämpfen, er macht immer wieder kurze Pausen, lutscht an einem Bonbon, schluckt. Er wirkt blass. Eine allergische Reaktion, heißt es hinterher. Söder sei am Sonntag radeln gewesen, die Pollen flogen, nichts Schlimmes also. Wobei es schon recht ironisch ist, dass der Ministerpräsident ausgerechnet jetzt kränkelt, da es in Sachen Corona langsam bergauf geht.
Für Bayern hat Söder Gutes zu vermelden. Die Neuinfektionen steigen nur noch um etwa ein Prozent, der so entscheidende Reproduktionsfaktor ist mit 0,57 niedrig, und die Öffnung kleiner und mittlerer Läden samt Maskenpflicht scheint – so die Momentaufnahme – reibungslos zu laufen. Söder, das kennt man, hält sich mit Eigenlob nicht zurück. Bayerns vorsichtiger Weg sei der richtige gewesen, krächzt er. Andere Länder würden „durch zu schnelle Öffnungen bald wieder in den Fokus geraten“.
Bevor Bund und Länder am Donnerstag wieder über die Corona-Pandemie beraten, wird der Disput um die richtige Strategie in der Krise lauter – das Auseinanderdriften der Konzepte sichtbarer. Beispiele gibt es viele. Während Bayern die Schulen nur vorsichtig öffnet, zieht Sachsens Kultusminister schon die erste Wochen-Bilanz. Wo der Freistaat Masken-Muffeln Bußgelder aufbrummt, bauen andere auf sanfte Mahnungen.
Eigentlich hatten sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten ein einheitliches Vorgehen in der Krise verschrieben – aber das gerät zusehends in den Hintergrund. Merkel selbst hatte zuletzt die Lockerungs-Maßnahmen einzelner Länder als „zu forsch“ gerügt. Jetzt scheint sie die Realität anzuerkennen. Wie zum Beleg schreibt ihr Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) in einer Bilanz zu den Corona-Maßnahmen, das Virus breite sich regional unterschiedlich aus. „Das kann bedeuten, dass Beschränkungen in bestimmten Regionen aufrechterhalten oder nach zwischenzeitlichen Lockerungen wieder verschärft werden müssen.“ Auch Söder spricht von „regionalen Lockdowns“.
Mit anderen Worten: Statt einheitlich soll nun also doch besser regional agiert werden. Die Kurskorrektur hat auch politische Folgen: Die Lockerungs-Diskussionen, die sich vor allem zwischen Söder und NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) abspielen, dürften sich verschärfen.
Beide Länderchefs liefern sich seit Tagen ein Fernduell, das zwar meist ohne Namen auskommt, aber doch überdeutlich ist. Dass Laschet am Sonntagabend in der ARD erklärte, Virologen änderten alle paar Tage ihre Meinung, kontert Söder gestern recht offensiv: Die Virologen hätten uns bisher „gut durch die Krise gebracht“, man solle weiter auf sie hören. In einer Videokonferenz des CSU-Vorstands wurden manche deutlicher. Landesgruppenchef Alexander Dobrindt nannte Laschets Verhalten schädlich.
Mit viel Harmonie ist bei den Beratungen am Donnerstag also nicht zu rechnen. Söder, so scheint es, will bis dahin das Image des Bremsers noch etwas korrigieren. Gestern stellt er weitere Lockerungen für Gastronomie (womöglich bis Ende Mai) und den Handel in Aussicht. Letzteres aber vor allem auf Druck der obersten bayerischen Verwaltungsrichter.
Heute will sich das Kabinett zudem um Konzepte für Kindergärten, Schulen und Pflegeheime kümmern. Ziel sei es, „dass vor Pfingsten jeder Schüler zumindest einmal wieder in der Schule war“, sagt Söder. Auch bei den Kitas gebe es Handlungsbedarf. Sollte sich bestätigen, dass Kinder nicht so stark von dem Virus betroffen sind, seien schnelle Öffnungen denkbar. Bei Menschen in Pflegeheimen wolle man vor allem gegen drohende Vereinsamung vorgehen.
Den guten Signalen zum Trotz rät Söder aber zur Vorsicht. Es gehe jetzt darum, die „Balance zwischen Freiheit und Sicherheit“ zu halten. Auch das dürfte eine Botschaft an Laschet sein.