Boris Johnson – einfach zu langsam in der Corona-Krise?

von Redaktion

Oppositionsführer Starmer bringt den Premier im Parlament in die Bredouille – Lockerungen ab nächster Woche?

London – Mit dem Timing hat Boris Johnson derzeit wirklich kein Glück. Ausgerechnet zur ersten parlamentarischen Fragestunde seit der Erkrankung des britischen Premiers an dem Covid-19-Virus und seiner Genesung jagt eine Hiobsbotschaft die andere.

Erst werden am Vortag offizielle Corona-Statistiken veröffentlicht, die Großbritannien mit über 30 000 Todesopfern an die traurige Spitze der europäischen Länder katapultieren. Dann muss Johnsons prominentester Epidemie-Berater Neil Ferguson zurücktreten, weil er sich bei heimlichen Treffen mit seiner Geliebten nicht an die eigenen Kontaktverbots-Weisungen hielt.

Und schließlich muss der Tory-Chef im Unterhaus auch noch die bittere Erfahrung machen, dass ihm gegenüber neuerdings ein Oppositionsführer sitzt, der knallharte Positionen pragmatischer Vernunft vertritt, statt wie Vorgänger Jeremy Corbyn linksgestrickte Ideologie. Keir Starmer, seit April Labour-Chef, hat bei seiner Fragestunden-Premiere den Premier gehörig in die Bredouille gebracht. Einzig die Tatsache, dass er am Mittwoch Vater eines Sohnes wurde, kann Johnson auf seinem privaten Glückskonto verbuchen – politisch hilft ihm das wenig.

Denn die Fragen nach dem Umgang der konservativen Regierung mit der Corona-Pandemie werden immer bohrender. Oppositionsführer Starmer bilanziert den Regierungskurs seit Ausbruch der Krise plakativ: „Wir waren langsam beim Lockdown, langsam bei den Corona-Tests, langsam bei der Nachverfolgung von Infizierten und langsam bei der Beschaffung von Schutzausrüstung“.

Mit dieser Haltung steht er nicht alleine. Die Mehrheit der Briten glaubt laut Umfragen, dass Johnson durch sein zögerliches Handeln die Tragödie mit heraufbeschworen hat. Im April rekonstruierte die ,,Sunday Times“ das Handeln der Regierung in der Frühphase der Epidemie und kam ebenfalls zu einem vernichtenden Urteil: Johnson habe die ersten 38 Tage ,,verschenkt“. Am 24. Januar befasste sich erstmals das britische Sicherheitskabinett mit Corona. Johnson blieb dieser wie vier weiteren Sitzungen fern. Noch am 3. März plauderte Johnson öffentlich darüber, dass er in einer Klinik mit Corona-Patienten ,,alle Hände geschüttelt“ habe. Wichtig sei nur, dass man sich die Hände danach wasche, sagte er. Zu diesem Zeitpunkt, zieht die „FAZ“ einen interessanten Vergleich, war Angela Merkel schon weiter. Fünf Tage zuvor hatte sie in ihrem Wahlkreis in Mecklenburg-Vorpommern erklärt, dass sie keine Hände mehr schütteln werde. Bei diesem Fünf-Tage-Abstand zu Deutschland sollte es im Regierungshandeln Londons bleiben. Erst als der Alarm der Wissenschaftler unüberhörbar wurde, machte Johnson Corona zur Chefsache. Am 18. März appellierte er im Fernsehen an seine Landsleute: Bleibt zuhause!

Doch die lange Zeit mangelhafte Ausstattung der Kliniken mit Schutzausrüstung – unvergessen die Bilder von Ärzten und Schwestern mit umgehängten Mülltüten als Hilfsmittel – sowie die geringe Zahl der Corona-Tests werden weiter kritisiert.

Trotz der hohen Todesopferzahlen denkt aber auch Johnson an eine Exit-Strategie. Am Sonntag, so kündigte er im Parlament an, will er Detaillierteres bekannt geben. Dem lauten Ruf der Wirtschaft nach Lockerungen darf Johnson aber nicht zu rasch nachgeben. Laut der jüngsten Umfrage des Opinium-Instituts will weniger als ein Fünftel der Briten aus Angst vor dem Virus, dass Bars und Restaurants bald wieder öffnen. Meinungsforscher von Ipsos Mori fanden heraus, dass zwei Drittel der Briten auch nach Ende der Ausgangssperren Busse, Pubs oder Stadien lieber meiden würden. ALEXANDER WEBER

Artikel 10 von 11