Die Befreiung Bayerns

von Redaktion

Das Kriegsende kam in Etappen, aber rasant. In nur 40 Tagen eroberten die US-Truppen Bayern. Das NS-Regime wankte, gestürzt werden konnte es aber nur von außen.

VON DIRK WALTER

München – Erst am 25. März 1945 hatten die US-Truppen bei Aschaffenburg erstmals bayerischen Boden erobert. Knapp einen Monat später standen sie schon in Südbayern: Ulm fiel am 24. April, Regensburg am 26. April, Augsburg am 28. April.

Nun ging es um München. Die Stadt hatte im Nachhinein betrachtet viel Glück, dabei sah es anfangs schlecht aus. Bereits am 21. April hatte NS-Reichsstatthalter Franz Ritter von Epp, ein Veteran aus dem Ersten Weltkrieg, den Oberkommandierenden der Wehrmacht Albert Kesselring in seinem Hauptquartier in Pullach aufgesucht, um ihn zur Aufgabe Münchens zu überreden. Kesselring blieb stur. „Das heißt also weiterkämpfen“, soll Epp resigniert gesagt haben. Dass es dann doch anders kam, lag vielleicht auch am Münchner Gauleiter Paul Giesler, der lediglich die Isarbrücken sprengen lassen wollte. Auch das unterblieb – aber „der Weg für die Amerikaner nach München war damit frei“, schreibt der Historiker Walter Ziegler. Im Gegensatz zu Nürnberg, wo Fanatiker um den Gauleiter Karl Holz bis zum eigenen Tod kämpften, blieb München ein mörderischer Häuserkampf erspart. Am 30. April marschierte die US-Armee kampflos ein.

Zu diesem Zeitpunkt war der deutsche Machtbereich schon „auf einen schmalen Schlauch“ geschrumpft, wie Propagandaminister Joseph Goebbels in sein Tagebuch schrieb. „Wir geben hier in Berlin Befehle, die unten gar nicht mehr ankommen.“ Kennzeichen der letzten Phase des Krieges waren zahlreiche lokale Aktionen zur Beendigung von Kampfhandlungen – ganz gleich, was weit weg in Berlin noch gedacht oder befehligt wurde.

Ein kritischer Moment war insbesondere das Hissen einer weißen Fahne als Symbol für die kampflose Übergabe des Ortes. In Allershausen ging es Schlag auf Schlag. Um 8.15 Uhr rückte die SS-Division „Götz von Berlichingen“ aus dem Dorf ab, 20 Minuten später hing die weiße Fahne am Kirchturm, noch einmal zehn Minuten danach erschienen die Amerikaner. Nicht weit entfernt, in Sittenbach (Kreis Dachau), erlebte Albert Edelmann Folgendes:

„Am Sonntag, den 29. April 1945, vormittags zogen noch vereinzelt einige deutsche Soldaten durch Sittenbach. Kein Einwohner wagte deshalb, eine weiße Fahne herauszuhängen. (…) Auf einmal hieß es: Panzer kommen über die Felder von Sixnitgern her auf Sittenbach zugefahren (…) Ich raste sofort, mit einem Bettlaken und einem Schrubber bewaffnet, die Treppe hinauf in die obere Dachkammer.“ Von oben sah er einen Panzer. „Da krachte es auch schon zwei Mal hintereinander, und es splitterte und zischte um meinen Kopf herum (…). Blitzschnell steckte ich aus dem so geöffneten Fenster das Bettlaken auf dem Schrubber hinaus. Nun schien der Amerikaner beruhigt zu sein.“

Auch der Architekt Georg Maria Kronenbitter aus Kottgeisering im westlichen Landkreis Fürstenfeldbruck hatte sein Erlebnis mit den Panzern: „Es ist neun Uhr durch, da heißt es, von Pleitmannswang kommen die Panzer!“, schrieb er am 29. April in sein Tagebuch. „Was werden es sein: Gaullistische Truppen oder Amerikaner? Vom Kirchturm weht bereits die weiße Fahne und schon rattern die ersten Panzer zum Dorf hinaus nach Grafrath. Mächtige Kolosse (…) Amerikaner!“ Wenig später explodiert etwas: „Eine dicke schwarze Rauchwolke steht über der Grafrather Brücke, die in die Luft ging.“

Unblutig war die Entmachtung der lokalen NS-Führung in Kolbermoor (Kreis Rosenheim), wie der Geschäftsführer einer ortsansässigen Baumwollspinnerei berichtete. Er hatte am 1. Mai – die Amerikaner waren noch nicht da – entsetzt mit angesehen, wie „ein schwerer deutscher Panzer (Panther)“ mitsamt der nur für Pkw ausgelegten Straßenbrücke in den Werkkanal stürzte – wodurch es beinahe eine Überschwemmung gab.

Mehr als das beunruhigte den Werksdirektor, dass sich ausländische Arbeiter – bisher zwangsverpflichtet, nun aber frei – zusammenschlossen und unzählige Kitzfelle für Handschuhe sowie Wildleder zur Gasmaskenproduktion gestohlen hatten. „Die allgemeine Unsicherheit, besonders den Ausländern gegenüber, besteht weiter und die ganze Bevölkerung ist dem hemmungslosen Wüten dieser Menschen schutzlos preisgegeben“, resümierte der Geschäftsführer.

Bei dieser Einschätzung wurde natürlich vorangegangenes Leid der Zwangsarbeiter außer Acht gelassen, die ja nicht freiwillig in Bayern waren, die schikaniert, ausgebeutet, ja bei geringsten Vergehen hingerichtet worden waren. Aber dieses subjektive Empfinden der Schutzlosigkeit in der sogenannten Niemandszeit – in der deutsche Soldaten oder Polizei ausgeschaltet waren, die Amerikaner indes noch nicht voll die Kontrolle ausübten – war verbreitet. Mitten in diese Phase der Unsicherheit platzten am 27. April Nachrichten über die „Freiheits- und Aufbau-Aktion Bayern“ unter dem Hauptmann Rupprecht Gerngroß, der über einen Rundfunksender eine Aktion zur Befreiung Bayerns ausrief, die aber schon am 28. April niedergeschlagen wurde. In der Bergarbeiterstadt Penzberg ermordeten Fanatiker 16 Einheimische. Einmal mehr zeigte sich: „Das NS-Regime war also auch in den letzten Tagen nicht zu stürzen“,wie der Historiker Walter Ziegler zutreffend feststellte.

Oft vergessen wird, dass der Krieg in Oberbayern mit dem Einmarsch in München nicht beendet war. Erst am 1. Mai erreichten US-Einheiten KZ-Häftlinge, die vom KZ Dachau aus auf dem Todesmarsch über 50 Kilometer weiter bis Waakirchen/Reichersbeuern getrieben worden waren. Noch am 3. Mai sprengte ein SS-Trupp in Schneizlreuth die Saalach-Brücke – genau in dem Moment, als der Bürgermeister mit einer weißen Fahne den Amerikanern entgegen ging. Er starb. Am 4. Mai erreichten die Amerikaner Berchtesgaden – womit ganz Bayern nun besetzt war. Und das in nur 40 Tagen.

Für den damals fünfjährigen Heinrich Aumüller, der heute in Gstadt am Chiemsee lebt, war die Ankunft der Amerikaner ein beeindruckendes Erlebnis. Der Münchner Bub war seit 1943 mit seiner Mutter evakuiert und wohnte nun im Schulhaus des Dorfes Vogling bei Siegsdorf. „Die ersten Amerikaner habe ich gegrüßt, wie ich’s vom Oberlehrer Brandner, der ein Nazi war, gelernt hatte: „Heil Hitler“. Zum Glück für Aumüller haben die Amerikaner „nur gelacht und einen Sack mit Bonbons hingestellt. Ich durfte mit vollen Händen zulangen.“ Bis heute verbindet sich mit den Amerikanern die Ankunft von Luxusgütern: Kaugummi und Schokolade. Aumüller hat noch etwas anderes in Erinnerung: „Die erste Orange meines Lebens – und wie sie roch.“

Mit dem Einzug der Amerikaner begann nun eine neue Zeit, mischten sich Gefühle von Erleichterung über die Befreiung vom Nazijoch mit Befürchtungen über eine ungewisse Zukunft. Auch das Verhalten der Besatzungstruppe variierte stark von Ort zu Ort. Es gab auch Übergriffe, Vergewaltigung, auch Exzesstaten wie die Erschießung von acht Gendarmerie- bzw. Waffen-SS-Angehörigen in Oberpframmern bei Ebersberg. Aber die überwiegende Mehrheit der US-Einheiten, das darf man feststellen, verhielt sich der Ortsbevölkerung gegenüber aufgeschlossen, ja freundlich.

Oft requirierten die Amerikaner Wohnungen im Dorf, in dem sie mehr oder weniger zufällig am Abend eingetroffen waren. Auch die Familie des Obermüllers Albert Edelmann in Sittenbach musste raus, er verhandelte aber noch: „Entsetzt rief ich: Nix 10 Minut – 20 Minut. Der Amerikaner überlegte und sagte: Gut, 20 Minut! In aller Eile packte meine Frau die notwendigsten Sachen zusammen.“ Notquartier bei einem befreundeten Schreiner – wenn auch nur für einen Tag. Auch Heinrich Aumüller erinnert sich: „Aus dem Schulhaus mussten wir allerdings raus und in ein Notquartier umziehen. (…) Mein Bettstattl war unter der Last eines GI zusammengebrochen.“

Es gab auch andere – schöne – Erlebnisse: Erwin Schandl aus Oberhaching schrieb: „Meine Schwester, 5 Jahre, und ich, 6 Jahre, lebten damals mit unserer Mutter in einer kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung auf einem Bauernhof in Aying.“ In der Nacht 1./2. Mai „brachte meine Mutter meine kleine Schwester zur Welt. Sie hatte als Hilfe nur meine Tante. Arzt oder Hebamme trauten sich nicht aus dem Haus.“ Mediziner der US-Armee untersuchten das putzmuntere Baby. Wiltrud Angerer aus München, damals 14, war mit einem Gerücht konfrontiert: „Eine Frau riet meiner Mutter, sie solle mein Gesicht mit schwarzer Schuhcreme verschmieren, da alle hübschen Mädchen von den amerikanischen Soldaten vergewaltigt würden.“ Die halbwüchsige Wiltrud weigerte sich – und nichts passierte ihr.

Noch etwas erwies sich als Gefahr: weggeworfene oder vergessene Waffen: Georg Maria Kronenbitter aus Kottgeisering schrieb am 7. Mai: „Durch eine in der Scheune versteckte Panzerfaust kam der zweite Bub vom Widmann in der Peutermühle ums Leben. Sie explodierte beim Aufräumen und zerriss den Widmann Ernstl.“

Fernab, im Hauptquartier der sowjetischen Armee in Berlin-Karlshorst, unterzeichnete am frühen 9. Mai um viertel vor eins ein nervöser Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel die Kapitulationsurkunde in fünffacher Ausfertigung. Damit war der Krieg auch in Bayern zu Ende.

Artikel 1 von 11