Otmar Huber hat in seiner Jugend so viele lebensgefährliche Situationen überstanden, dass er auch jetzt gelassen bleibt. „Hätte es damals Corona gegeben, hätte mir das auch nichts gemacht“, sagt er nur halb im Scherz.
Damals – damit meint Otmar Huber die Jahre zwischen 1943 und 1948. Es sind die fünf bitteren Jahre mit Flak, Reichsarbeitsdienst, Wehrmacht, Gefangenschaft, Kohlebergwerk. „Die ganze Jugend war eigentlich nur Krieg“, sagt er.
Wenn man so will, ist Otmar Huber Angehöriger jener berühmten Flakhelfergeneration, die aus der Schule herausgerissen den Krieg als ganz Junge noch mitmachen mussten und später in der Bundesrepublik in Führungspositionen aufstieg. Berühmte Vertreter sind Günther Grass, Dieter Hildebrandt, Horst Ehmke oder Hans-Dietrich Genscher. Auch Otmar Huber machte Karriere: Das einstige CSU-Mitglied war Spitzenjurist im bayerischen Innenministerium, wurde dann Landrat in Bad Tölz – 30 Jahre lang. Über seine Jugend im Krieg hütet er zuhause Aufzeichnungen. Über die Zeit bei der Flak, über das KZ Dachau und Auschwitz, die Schinderei im Kohlebergwerk Siemjanowice in Oberschlesien, heute Polen.
Eingezogen wurde Otmar Huber als 15-Jähriger: Luftwaffenhelfer bei der Flak in Städten rund um Nürnberg. Otmar Huber saß am Radargerät, war später MG-Schütze gegen Tiefflieger. Vom Gymnasium an die Front – das war hart. Otmar Huber war ein guter Schüler: Latein, Griechisch, Englisch. Das war nun vorbei. Als Flakhelfer gab es nur noch sporadisch Unterricht. Im September 1944 sah er das Grauen: Als Flak-Helfer wurde er nach Auschwitz verlegt. Die Flugabwehr war wichtig, um Dehydrierwerke der IG Farben vor Luftangriffen zu schützen. Dass in der Fabrik, in der Kohle zu Benzin umgewandelt wurde, tausende von KZ-Häftlingen schufteten, begriff der junge Huber schnell. „Ich ahnte die Ausmaße des Schreckens, als ich die sämtlich kahl geschorenen Männer und Frauen sah.“ Einen Monat war Huber in Auschwitz, dann kam er nach einer Winterausbildung zur Wehrmacht – eigenartigerweise zur Kavallerie. „Mit Pferden gegen russische Panzer, das muss man sich mal vorstellen.“ Huber schüttelt es, wenn er das sagt.
Bei Breslau kam er in Kriegsgefangenschaft. Den 8. Mai 1945 erlebte er mit einer Fußverletzung in einem Lazarett in Oels. „Wojna kaöputt – damoi, damoli“, der Krieg ist aus, jetzt geht’s nach Haus, sangen die Russen. Doch das stimmte nicht – denn Otmar Huber kam im Oktober 1945 zur Grubenarbeit nach Ostoberschlesien. Polen musste Kohle an die Russen liefern, „dafür wurden wir ihnen als unbezahlte Arbeitssklaven zugeteilt“. Schuften im teils nur 1,40 Meter hohen feuchten Kohle-Streb. Zwei Mal wurde Huber schwer krank: Lungenentzündung. Nur mit Hilfe oberschlesischer Hauer und Medikamentenlieferungen des Roten Kreuzes überlebte er.
Erst im November 1948 kam Huber heim. Er gibt heute zu: Als 15-Jähriger war er stolz, schon Soldat zu sein. Die Daheimgebliebenen waren für ihn „Drückeberger“. 1948 wusste er, dass er sich geirrt hatte. DIRK WALTER