Diesen Tag wird Maria Wiedemann, 88, nie vergessen. „Es war der 28. April 1945, und es war ja offiziell noch Krieg“, sagt sie. Die 13-jährige Maria lebt damals gleich beim Bahnhof in Tutzing. Den riesigen Güterzug mit Viehwagen bemerkt sie sofort. Mit ihrem vierjährigen Bruder geht sie näher hin – und sieht plötzlich KZ-Häftlinge aus dem Lager Mühldorf mit zerfetzten Kleidern. „Sie haben aus dem stehenden Zug rausgewunken und gerufen: Hunger, Hunger, Hunger“, sagt Wiedemann. Sie rennt nach Hause, holt einen Eimer Wasser und eine Kelle, löffelweise gibt sie den Menschen zu trinken. „Mir tut das Herz weh, wenn ich nur daran denke.“ Sonst traute sich niemand zum Zug, sagt sie. „Ich war die Einzige, die Nachbarn haben nur aus dem Fenster geschaut.“
Am nächsten Tag wurden die Waggons geöffnet, die ehemaligen Häftlinge liefen durch den Ort. „Alle Frauen in der Straße haben für sie gekocht – Kartoffelsuppe, Kartoffelsuppe.“ Noch heute denkt Wiedemann immer wieder an die armen, halb verhungerten Gestalten. „Das war so schlimm“, sagt sie, „ich habe es noch immer nicht verdaut.“ sts