Am Tag des Kriegsendes vor 75 Jahren klangen Friedensglocken aus dem Radio. „Vergiss das nie“, meinte meine Mutter, „endlich ist Frieden, wir dürfen leben.“ Wie unendlich schwer aber das Leid der damals Alten war, die ihre Söhne in diesem Krieg verloren hatten, ist mir in diesen Tagen wieder ganz lebendig geworden. Durch unsere Corona-bedingte größere Häuslichkeit fand ich beim Aufräumen einen lange vergrabenen Briefwechsel zwischen dem Nobelpreisträger Max Planck mit dem Physikprofessor Bernhard Bavink, einem Vetter meiner Großmutter.
Brieflich teilt er Planck in Göttingen mit, dass nun auch sein zweiter Sohn, noch nicht 18-jährig, „in einem sinnlosen Gefecht in der Nähe von Gelnhausen“ gefallen sei. In seiner Antwort kondoliert Planck dem Kollegen, dass er „zwei geliebte Söhne einer wahnsinnig gewordenen Zeit zum Opfer (habe) bringen müssen“. Und der große Wegbereiter der modernen Physik, dessen Sohn Erwin von den Nazis hingerichtet worden war, findet dazu das Wort: „Dass Gottes Wege nicht unsere Wege sind.“ Auch er habe „bei der verbrecherischen Ermordung meines Sohnes in diesem Satz die Rettung aus schwerer Gemütsqual gefunden“.
Ungeachtet ihrer Trauer tauschen sich die beiden Physiker in ihrem Briefwechsel aber ebenso aus über die durch Plancks Quantentheorie aufgeworfenen erkenntnistheoretischen Fragen. Es geht darum, ob die physikalischen Gesetze in letzter Linie streng kausalen oder statistischen Charakter haben. Das, betont Bavink, sei die Konsequenz, die man aus den Erkenntnissen von Planck ziehen müsse. Unter dem saloppen Begriff „Gott würfelt“ bleibt diese Frage aktuell bis heute. Planck will das in dieser absoluten Form nicht so stehen lassen. Allerdings könne man, schreibt er, „schon wegen der Unschärferelation einer etwaigen Kausalität im Geschehen mit unserem, der klassischen Physik entnommenen Begriff, nicht beikommen“.
„Der Gedanke, dass die Welt wie ein Uhrwerk gesetzmäßig abschnurrt, hat auch für mich etwas Abstoßendes, aber nicht weniger, ja viel mehr abstoßend ist mir der entgegengesetzte Gedanke, dass in letzter Linie der blinde Zufall regiert.“ Das alles wirklich zu verstehen, meint der mit Einstein größte Physiker des Jahrhunderts, „müssen wir einer Intelligenz überlassen, welche die unsere in noch höherem Maße übertrifft, wie diese die der Tiere“.
So bescheiden schreibt ein wirklich Weiser, von dem Bavink in seinem Brief sagt, er habe einen Blick in die Tiefe der Schöpfung eröffnen dürfen, „so tief, wie er seit Newtons Zeit nicht getan wurde. Ihr Name und Werk werden noch nach Jahrtausenden genannt werden, meiner wird in ein paar Jahren, spätestens Jahrzehnten, vergessen sein, da ich nur der Gegenwart dienen durfte, während Sie etwas schufen, was zeitlos gilt.“
Im realen Leben hat Planck Bavink nur um zwei Monate überlebt. Am 4.7.1947 schrieb er der Witwe über den Verstorbenen: „Ich weiß keinen einzigen Menschen, mit dem ich in allen weltanschaulichen Fragen eine solche Übereinstimmung fühlte.“
Schreiben Sie an:
ippen@ovb.net