Nur Schritttempo an der Grenze

von Redaktion

VON CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER UND MARCO HADEM

München/Freilassing – Abstand halten ist eine lästige Pflicht in Corona-Zeiten, mancher Politiker vergisst es kurz. Diese beiden Herren blieben hingegen schon immer ganz gern auf Distanz zueinander, und jetzt erst recht: Horst Seehofer und Markus Söder nutzen jeder einen eigenen gesperrten Fahrstreifen auf dem kurzen Fußmarsch zur Staatsgrenze. Söder läuft sogar außen an den Warnbaken vorbei, ja nicht zu nahe kommen. Der Besuch der CSU-Parteifreunde am Grenzübergang Freilassing verläuft gemeinsam, aber nicht innig.

Eine kurze Verbeugung, protokollarisch und virologisch korrekt, genügt als Gruß beim Treffen in dieser sehr seltenen Konstellation. Es ist aber auch nicht der Tag für Erinnerungen an die eiserne Rivalität. Der Ministerpräsident und sein Vorgänger, jetzt Bundesinnenminister, sind tatsächlich hier, um das Gleiche auszudrücken: Beide vermelden an der Grenze zu Österreich den Stand der Lockerungen. Sie machen aber auch klar: Ein schnelles Hauruck-Öffnen der Grenze wird es nicht geben, sondern nur vorsichtige Schritte mit Notbrems-Option.

Vom Nutzen der Operation Mitte März, die Grenze für Urlauber zu schließen, sind beide bis heute strikt überzeugt. Das habe ganz wesentlich zum Zurückdrängen der Pandemie geführt, sagt Seehofer. Man habe Infektionsketten unterbrochen und eingedämmt. Er sagt das auch Anwohnern, die an die Staatsgrenze gekommen sind, um gegen seinen Kurs zu protestieren. Er geht auf sie zu und sucht das Gespräch. Eine kuriose Szene: Er hinter der Leitplanke, mit Schutzmaske und eher dicht umringt von Kamerateams, ruft den Kritikern, die sich im brusthohen Gras der Wiese neben der Straße sammeln, seine Argumente zu. Am Ende gibt es, so berichten Augenzeugen, sogar respektvollen Beifall.

Der weitere Kurs an der Grenze zu Österreich ist nun abgesteckt. Bayern setzt die Quarantäne-Regeln für Einreisende aus EU- und Schengen-Staaten sowie aus Großbritannien sofort aus. Formal waren bei jedem Grenzübertritt bisher 14 Tage zuhause Pflicht. In beide Richtungen soll die Grenze am 15. Juni wieder völlig offen sein, also ohne Kontrollen, die bis dahin stichprobenartig weiterlaufen. Die CSU-Politiker nennen aber als Bedingung, dass die Neuinfektionen niedrig bleiben. Söder sagt: Sollten die Zahlen in einem Land wieder sprunghaft nach oben gehen, brauche man einen Notmechanismus, eine „Notbremse“ auch an den Grenzen. Man werde jederzeit in der Lage sein, wieder zu reagieren. Söder erinnert daran, dass viele Menschen auch Sorgen hätten, ob die Lockerungen aus gesundheitlicher Sicht vertretbar seien.

Im Hintergrund geht es natürlich auch um den Tourismus. Österreich öffnet seine Hotels und hofft auf Urlauber aus Bayern. Söder indes unternimmt derzeit viel, um möglichst viele Bayern im eigenen Land zu halten – mindestens über Pfingsten, am liebsten auch im Sommer.

„Freilassing“ – kein Ortsname könnte symbolischer sein für die Grenzöffnung. Trotzdem ist längst nicht alles gut an diesem und anderen Übergängen. Für eine der größten Gruppen bleibt der Übertritt bis Mitte Juni verboten – Touristen können sich nur mit Glück unerkannt über die Grenze schmuggeln. Für Liebespaare, Verwandtenbesuche und Landwirte gibt es zwar Ausnahmen. Mitunter werden die Sonderregeln aber skurril: Wer eine Wohnung oder einen Schrebergarten in Österreich hat, darf zwar theoretisch über die Grenze – muss aber ein ärztliches Zeugnis über einen negativen Corona-Test mitführen, nicht älter als vier Tage. Eine Leserin unserer Zeitung wurde deshalb abgewiesen und von der österreichischen Polizei zur Grenze zurück eskortiert.

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