Brüssel – In den Handelsgesprächen mit Großbritannien nach dem Brexit hat EU-Verhandlungsführer Michel Barnier Forderungen Londons nach einseitigen Zugeständnissen zurückgewiesen. In einem Brief an seinen Kollegen David Frost vom Mittwoch kritisierte Barnier auch den „Ton“, den dieser jüngst in einem Schreiben angeschlagen hatte. Die britische Regierung räumte unterdessen ein, dass es bei bestimmten Gütern künftig doch Zollkontrollen zwischen Großbritannien und seiner Provinz Nordirland geben werde.
Barnier wies insbesondere Frosts Forderung zurück, Großbritannien nach dem Ende der Übergangsphase ähnliche Vorteile wie dem Handelspartner Kanada zu gewähren. Jede Vereinbarung mit der EU sei „einmalig“, schrieb Barnier. „Es gibt kein Modell“, und es könne „kein Rosinenpicken“ geben. Die EU werde zudem keine „selektiven Vorteile“ auf ihrem Binnenmarkt „ohne entsprechende Verpflichtungen“ akzeptieren.
Frost hatte am Dienstag kritisiert, das derzeitige Angebot sei „ein ziemlich minderwertiges Handelsabkommen“, das der EU eine „beispiellose Kontrolle“ über britische Gesetze und Institutionen geben würde. Er bekräftigte Londons Wunsch nach einem Freihandelsabkommen nach dem Vorbild anderer Abkommen, wie Brüssel sie etwa mit Kanada abgeschlossen habe. Dies stehe den Briten als „besonderem Handelspartner der EU“ zu.
Er wolle nicht, dass der von Frost angeschlagene Ton Folgen für „das gegenseitige Vertrauen und eine konstruktive Haltung“ habe, warnte Barnier. Briefe könnten zudem „ernsthaftes Engagement und detaillierte Verhandlungen“ in den Post-Brexit-Gesprächen „nicht ersetzen“.
Großbritannien war am 31. Januar aus der EU ausgetreten. In der Übergangsphase bis Jahresende bleibt das Land noch im EU-Binnenmarkt und in der Zollunion. In dieser Zeit wollen beide Seiten insbesondere ein Handelsabkommen vereinbaren.
Beide Seiten hatten vergangene Woche ihre dritte Verhandlungsrunde seit dem Brexit abgeschlossen. Barnier hatte sich danach „enttäuscht über den mangelnden Ehrgeiz der britischen Seite“ gezeigt und gesagt, es gebe „bei den schwierigeren Themen keine Fortschritte“.
Immer abgelehnt hatte die britische Regierung bisher Zollkontrollen zwischen Großbritannien und Nordirland. Es werde zwar „keine neue physische Zollinfrastruktur“ geben, erklärte London nun zu dem mit der EU vereinbarten Nordirland-Protokoll. Es würden jedoch bestehende Zugangsstellen für Agrarnahrungsmittel ausgebaut, „um zusätzliche Kontrollen zu ermöglichen“.
Das Nordirland-Protokoll ist Teil des im vergangenen Jahr verabschiedeten Austrittsvertrags mit der EU. Ihm zufolge bleibt die britische Provinz in einer Zollunion mit Großbritannien. Sie wendet gleichzeitig aber weiter Regeln des EU-Binnenmarktes an, um Grenzkontrollen zu Irland zu vermeiden. Dies macht Kontrollen bei Gütern aus Großbritannien, die für die EU bestimmt sind, notwendig. Diese würden aber „absolut minimal“ ausfallen, versicherte der britische Staatssekretär für Kabinettsangelegenheiten, Michael Gove. „Alles erfolgt elektronisch.“ Die EU-Kommission begrüßte die neue Haltung in Großbritannien.
Bei der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) werden die geringen Fortschritte in den Verhandlungen mit Sorge verfolgt. Gerade in Corona-Zeiten „würde ein Auslaufen der Brexit-Übergangsphase am Ende des Jahres ohne Abkommen für die Unternehmen katastrophale Folgen haben“, mahnte vbw-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt. Bereits jetzt sei die Wirtschaft durch die pandemiebedingten Unterbrechungen der Liefer- und Wertschöpfungsketten massiv belastet. Beeinträchtigungen durch den Brexit würden Handel und Warenverkehr weiter schwächen.