Straßburg/München – Ursula von der Leyen beginnt ihre Rede auf Französisch. Die EU-Kommissionspräsidentin ist zu Gast im Europaparlament, zu dem sie nun aus der ersten Reihe spricht. Sie ist gekommen, um zu überzeugen. Und zwar nicht nur das Parlament, sondern vor allem auch die 27 Mitgliedstaaten, aus denen die Abgeordneten stammen. „Die kühnsten Maßnahmen für Europa sind auch immer die sichersten“, sagt sie. Denn auch sie hat kühne Pläne im Gepäck.
750 Milliarden Euro will die Kommissions-Chefin für die wirtschaftliche Erholung Europas mobilisieren. Davon sollen 500 Milliarden Euro als nicht rückzahlbare Zuwendungen und 250 Milliarden Euro als Kredite fließen. Mit dieser gigantischen Summe übertrifft sie sogar den gemeinsamen deutsch-französischen Vorstoß von letzter Woche. Angela Merkel und Emmanuel Macron hatten Zuschüsse von 500 Milliarden Euro vorgeschlagen.
Von der Leyen spricht jetzt englisch. „Dies ist der Moment Europas“, sagt sie. Was sie wolle, sei ein neuer Generationenpakt. Die Maßnahmen zur Überwindung der Krise sollen gleichzeitig Zukunftsinvestitionen sein. In Klimaneutralität, in Digitalisierung, in starke Gesundheitssysteme. Um das zu bezahlen, soll die EU Schulden aufnehmen, die sie dann zwischen 2028 und 2058 über ihren Haushalt zurückbezahlt. 30 Jahre lang.
Der europäische Haushalt habe immer aus Zuschüssen bestanden, argumentiert von der Leyen – das sei nichts Neues. Und es sei doch so: „Die Investitionen haben sich für alle um ein Vielfaches ausgezahlt.“ Zum Ende ihrer Rede wechselt sie ins Deutsche. „Ich zähle auf Ihre volle Unterstützung“, lautet ihr letzter Satz. Das Parlament applaudiert.
„Die Solidarität ist zurück“, sagt der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber. Die Fraktionschefin der Sozialdemokraten, Iratxe García, spricht von einem ambitionierten und großen Plan. Und die Vorsitzende der CSU-Gruppe im Europaparlament, Angelika Niebler, sagt unserer Zeitung: „Heute geht ein Ruck durch Europa. Wir glauben an eine gemeinsame Zukunft in der EU.“ Einen Kontrapunkt setzt der AfD-Europaabgeordnete Jörg Meuthen, der im Parlament nur zwei Plätze neben von der Leyen aufsteht und der Kommissionspräsidentin lautstark an den Kopf wirft, ihre Ideen seien „komplett irre“.
Aus Europas Hauptstädten kommt viel Zustimmung. Frankreich lobt von der Leyens Vorschlag als „historisch“. Athen nennt das Vorhaben „beherzt“. Auch in Rom ist man hocherfreut. Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte spricht von einem „hervorragenden Signal“. Und sein Außenminister Luigi Di Maio sagt, dass die EU-Gelder seine Regierung in die Lage versetzen würden, die Steuern zu senken. Das Land wäre in von der Leyens Plan der größte Empfänger. Vor Spanien, das eine „gute Verhandlungsbasis“ erkennt.
Die entscheidenden Punkte muss von der Leyen allerdings woanders machen. Nämlich bei den Mitgliedstaaten Niederlande, Österreich, Schweden und Dänemark – den sparsamen Vier. Bevor von der Leyens Plan Wirklichkeit werden kann, müssen die Parlamente aller EU-Staaten zustimmen. Und bereits vor der Präsentation des Kommissionsvorschlags haben diese vier Staaten klargemacht, dass sie es ablehnen, gemeinsam aufgenommene Gelder als Zuschüsse zu vergeben, die nicht zurückgezahlt werden. „Die Positionen liegen weit auseinander“, kommentiert ein niederländischer Diplomat.
Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel erwartet langwierige Diskussionen. Dabei steht sie wohl noch mehr als sonst im Mittelpunkt. Deutschland übernimmt am 1. Juli für sechs Monate den Vorsitz der EU-Länder. mit dpa