Ein Streit um Wischmopps und Visionen

von Redaktion

Der Landtag versucht eine erste Zwischenbilanz der Corona-Politik – Regierung auch selbstkritisch

München – Am Ende muss Hubert Aiwanger ans Mikrofon treten. Und die Debatte, die eigentlich um Leben und Tod gehen könnte, bekommt kuriose Züge. „Jawohl“, sagt der Wirtschaftsminister immer wieder, „jawohl“, er habe Material auch zum Putzen gekauft. „Jawohl, man kann eine Unterkunft auch nicht nur mit dem trockenen Besen kehren. Jawohl, ich habe Wischmittel beschafft.“

Im Landtagsplenum wird nun also über das Putzen gestritten. Der gar nicht so spaßige Auslöser: Aiwangers Ministerium hatte seit Mitte März für eine hohe Millionensumme Material für Notunterkünfte beschafft. Bis zu 10 000 Menschen, die Kontakt zu Infizierten hatten und isoliert werden müssen, sollten in Notquartieren untergebracht werden können. Er ließ unbemerkt von der Öffentlichkeit 10 000 Matratzen kaufen, Bettzeug, Waschlappen, Desinfektionsmittel in ungeahnten Mengen – und 90 000 Wischmopps. Weil die erste Corona-Welle in Bayern viel besser in den Griff bekommen wurde als befürchtet, hat es die Notunterkünfte bisher nicht gebraucht. Die Wischmopps gelten nun als Synonym für angeblich übertrieben panisches Handeln.

„Jawohl, das Wirtschaftsministerium hat in dieser Stunde der Not vorgesorgt“, sagt er also am Donnerstag im Landtag. Das Parlament tagt zum Versuch einer ersten Zwischenbilanz der Krise. Seine Freien Wähler als Regierungspartei haben die Debatte selbst beantragt. Es geht um weit mehr als um Wischmopps. Und statt dem in „Aktuellen Stunden“ oft üblichen triefenden Selbstlob einer Regierung sind 105 Minuten lang auch kritische Töne zu hören.

Man sei da „bislang ganz gut durchgekommen“, sagt der FW-Abgeordnete Fabian Mehring. Auch Bayern lerne aber, „wie wichtig unsere kommunalen Krankenhäuser sind“. Und dass es ein Defizit bei Schutzmasken gab, die man aus China einfliegen musste. Der CSU-Gesundheitspolitiker Bernhard Seidenath nennt es einen Fehler, dass seit 2016 keine Antibiotika mehr in Deutschland produziert würden. „Wir müssen die Produktion wieder ins europäische Inland zurückverlagern.“ Es sei falsch gewesen, Katastrophenschutz-Übungen zu reduzieren, sagen Redner der Koalition. Und: Die Arbeitsbedingungen in der Pflege müssten besser werden.

Über Details und den Lockerungskurs ringt seit Wochen auch die Koalition intern. Speziell über Aiwangers Wirken und seine Wischmopps spottet die CSU halblaut. FW-Abgeordnete aus hinteren Reihen schimpfen dafür, die Corona-Gastronomie-Regeln von Ministerpräsident Markus Söder seien „absurd“. Öffentlich im Plenum tragen die Koalitionäre diesen Streit aber nicht aus. Zudem hält der Grundkonsens für ein scharfes Eingreifen im März mit Kontaktlimits und etlichen Schließungen auch bei Grünen, SPD und FDP. Einzig die AfD, die mehrere Wochen alle Maßnahmen explizit mitgetragen hatte, kritisiert sie jetzt scharf. „Die bayerische Wirtschaft wurde dem Imponiergehabe unseres Ministerpräsidenten geopfert“, sagt ihr Abgeordneter Andreas Winhart. Er lobt ausgerechnet den liberaleren NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet, „der das Potenzial zum Kanzlerkandidaten hätte.“

Beim Weg aus der Krise äußert die Opposition unterschiedliche Vorschläge. Details daraus: Die Grünen fordern mehr finanzielle Hilfe und Liberalisierung für den Kulturstandort. Und: den Aufbau einer Pflegekammer („nachdem wir mit dem Klatschen fertig sind“, sagt ihr Abgeordneter Andreas Kahl, selbst Pfleger). Die SPD dringt auf mehr Geld für den Nahverkehr und Kaufprämien für Fahrräder und E-Bikes. Die FDP fordert, die Söder-Wahlgeschenke aus 2018 und 2019 zu hinterfragen und auch jetzt die Finger von Prämien für Autos oder Inlandsurlaub zu lassen. C. DEUTSCHLÄNDER

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