Kampf um 27 Stimmen

von Redaktion

VON ANSGAR HAASE UND VERENA SCHMITT-ROSCHMANN

Brüssel/Berlin – Angesichts erheblicher Widerstände rührt die EU-Kommission die Werbetrommel für ihren 750-Milliarden-Euro-Plan zum Kampf gegen die Corona-Krise. Die zuständigen Kommissare betonten gestern, dass die EU-Staaten die Krisenhilfen nur gegen Reformversprechen bekommen und dass das Geld gezielt in eine umweltfreundliche und modernere Wirtschaft fließen soll. Kritik gibt es vor allem an der Finanzierung über lang laufende Schulden.

Kommissionschefin Ursula von der Leyen hatte ihren Plan namens „Next Generation EU“ am Mittwoch vorgestellt. Sie will 750 Milliarden Euro als Schulden am Kapitalmarkt aufnehmen und davon 500 Milliarden Euro als Zuschuss und 250 Milliarden als Kredit zur Erholung der Wirtschaft an Krisenstaaten vergeben. Die EU-Schulden sollen zwischen 2028 und 2058 aus dem EU-Haushalt zurückgezahlt werden.

Für das Programm braucht von der Leyen die einstimmige Unterstützung der 27 EU-Staaten, die sich am 19. Juni bei einem Gipfel damit befassen. Österreich, die Niederlande, Schweden und Dänemark haben jedoch nach wie vor Bedenken gegen das Prinzip, als Kredit aufgenommenes Geld als Zuschuss zu verteilen und die Schulden gemeinsam zu schultern.

Haushaltskommissar Johannes Hahn zeigte sich optimistisch, dass Länder wie die Niederlande und Schweden doch noch zustimmen. „Am Ende des Tages werden wir einen brauchbaren und ergebnisorientierten Kompromiss finden“, sagte Hahn. Staaten wie die Niederlande profitierten enorm vom Binnenmarkt. Es gehe zudem nicht nur um wirtschaftlichen Erfolg, sondern auch um den sozialen Frieden in Europa.

Der CSU-Bundestagsabgeordnete Alexander Radwan nannte die Vorschläge „ein kraftvolles Zeichen der Solidarität der Europäischen Gemeinschaft“. Gerade die Zuschüsse müssten jedoch „mit klaren Auflagen verknüpft werden, damit gezielt staatliche Investitionen und Reformen unterstützt werden können“, sagte er unserer Zeitung. „Ein bloßes Anknüpfen von Leistungen aus dem Wiederaufbaufonds an das ,Europäische Semester’“, die Überprüfung der nationalen Haushalte durch die EU-Kommission, genüge nicht. In der Vergangenheit seien die damit verbundenen konkreten wirtschaftspolitischen Empfehlungen der Kommission „durch die Mitgliedstaaten fast immer ignoriert“ worden. Nötig sei zudem „die Stärkung und zukünftig konsequente Überwachung der Einhaltung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes“.

Der CSU-Europapolitiker Markus Ferber kritisierte im rbb-Inforadio, das Programm sei nicht sauber gegenfinanziert und Einstieg in eine Verschuldungsfalle. „Wenn die Refinanzierung nicht sauber geklärt ist, dann darf dieser Weg, den Ursula von der Leyen vorgeschlagen hat, nicht beschritten werden“, sagte Ferber. Auch vom Bund der Steuerzahler kam scharfe Kritik. „In letzter Konsequenz haben wir eine Vorstufe von gemeinschaftlichen Schulden“, sagte Präsident Reiner Holznagel bei t-online.de.

Beide monierten, dass von der Leyen zur Refinanzierung auch neue eigene Einnahmen der EU wie eine Digitalsteuer vorschlägt. Ferber sagte, darüber stritten die Finanzminister schon ewig. Holznagel lehnte eine solche Steuer ab, weil Konzerne wie Google oder Amazon die Kosten auf Verbraucher umlegen würden.

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