Berlin – Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier appelliert an die Menschen im Land, trotz Lockerungen der Corona-Beschränkungen vernünftig zu bleiben. Er plädiere weiterhin dafür, dass sich die Menschen an die Hygieneregeln halten, sagte Steinmeier in Berlin. „Selbstverständlich sind anderthalb Meter Abstand und die Gesichtsmaske lästig, das weiß ich auch. Aber gerade jetzt, wo wir so weit gekommen sind und es miteinander geschafft haben, die Infektionskurve abzuflachen, sollten wir nicht undiszipliniert werden, sondern Stück für Stück die Lockerungen vornehmen“, betonte der Bundespräsident.
Es müsse achtgegeben werden, nicht in einen Wettbewerb einzutreten, der möglicherweise die Vernunft beiseite schiebe, die bisher miteinander gezeigt worden sei. Im Land sei in den vergangenen Wochen Großartiges geleistet worden: „Wir haben eine gute medizinische Versorgung und eine neugierige ehrgeizige Wissenschaft erlebt, vor allem konnten wir uns auf eine große Mehrheit von Menschen im Land stützen, die eingesehen hat, dass Vorsicht geboten ist und dass Regeln eingehalten werden müssen“, sagte Steinmeier.
Der Virologe Christian Drosten hält es inzwischen für möglich, dass Deutschland eine zweite Corona-Welle erspart bleibt. „Vielleicht entgehen wir einem zweiten Shutdown“, sagte der Virologe vom Berliner Universitätsklinikum Charité dem „Spiegel“. Die Wissenschaft habe inzwischen ein besseres Verständnis des Infektionsgeschehens. „Jetzt kennen wir das Virus genauer, wir wissen besser, wie es sich verbreitet.“ Dies geschehe über wenige „Superspreader“, also Infizierte, die für viele Ansteckungen verantwortlich sind. „Ein solches Infektionsgeschehen kann man besser kontrollieren als eine gleichförmige Ausbreitung unterm Radar, wie am Anfang angenommen“, sagte Drosten. Es gebe jetzt eine „theoretische Möglichkeit“, dass die Deutschen „ohne zweite Welle durchkommen“.
Auch der Bonner Virologe Hendrik Streeck glaubt nicht, dass Deutschland von einer gewaltigen zweiten Corona-Welle überrollt wird. Er vermute, dass es immer wieder lokale Ausbrüche geben werde. „Das wird vielleicht im Herbst auch vermehrt und überraschend geschehen – aber ich glaube nicht, dass wir eine zweite Welle sehen werden, die uns überfordert“, sagte Streeck dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Als Hauptwaffe gegen das Coronavirus gilt ein Impfstoff, an dem weltweit mit Hochdruck geforscht wird. Streeck zweifelt aber an einem baldigen Erfolg. „Gegen HIV wurden schon über 500 Impfstoffe konstruiert, aber keiner hat funktioniert“, sagte er.
Die Debatte um eine Kinder-Studie Drostens geht unterdessen in die nächste Runde. Der in Halle tätige Mikrobiologe Alexander Kekulé sagte im Deutschlandfunk: „Als ich die Studie das erste Mal auf den Tisch bekam, am 30. April, war sofort klar, dass auf der Auswertungsseite ein paar Fragezeichen da sind.“ Auch Statistiker hätten Drosten auf die Schwächen der Studie im Bereich der Methodik hingewiesen: „Die Studie ist nicht zu retten, wie sie dasteht.“
Die Reproduktionszahl, kurz R-Wert, lag nach aktuellsten Angaben des Robert Koch-Instituts vom Donnerstag bei 0,61 (Dienstag 0,68). Das bedeutet, dass zehn Infizierte im Mittel etwa sechs weitere Personen anstecken. Der R-Wert bildet jeweils das Infektionsgeschehen etwa eineinhalb Wochen zuvor ab.