Washington – Eigentlich gilt in Washington eine eiserne Regel: Ex-Präsidenten kommentieren die Politik ihrer Nachfolger nicht. Barack Obama hielt sich lange daran, selbst als sein Nachfolger Donald Trump begann, ihn im aktuellen Wahlkampf bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu attackieren. Doch die Zeit der Zurückhaltung ist vorbei.
Mitte Mai kritisierte Obama das Corona-Management der Regierung scharf. In den Tagen nach dem gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd äußerte er sich mehrfach, zuletzt am Mittwoch via Videobotschaft. Was er sagt, steht in klarem Gegensatz zum brachialen Aufplustern Trumps. Während der Demonstranten mit dem Militär droht, sagt Obama: „Ich bin voller Hoffnung.“
Die aus seiner Sicht überwiegend friedlichen Proteste sieht der 58-Jährige als „unglaubliche Gelegenheit“, die „Ursünde unserer Gesellschaft“ – institutionellen Rassismus – endlich anzugehen. Zu oft hätten Schwarze „Gewalt und Tod“ erlebt, leider auch vonseiten der Polizei. Nun sei die Zeit gekommen, Amerika zu verändern.
Der Gegensatz ist gewaltig: Während der Amtsinhaber unbeirrt spaltet, bemüht sich Obama um Verständigung. Auch die anderen drei noch lebenden Ex-Präsidenten finden klare Worte. „Wir brauchen eine Regierung, die so gut ist wie ihre Bevölkerung, und wir sind besser als das“, schrieb Jimmy Carter am Mittwoch. George W. Bush nannte die anhaltende Bedrohung für Afroamerikaner im Land ein „schockierendes Versagen“ und lobte die friedlichen Demonstrationen. Bill Clinton erklärte, alle Amerikaner müssten sich gegen Rassismus auflehnen.
Trump erwähnen die vier nicht direkt, was ihre Kritik nicht schmälert. Anders James Mattis. Der Ex-Verteidigungsminister und General attackiert den Präsidenten im US-Magazin „The Atlantic“ ganz unverhohlen. „Donald Trump ist der erste Präsident in meinem Leben, der nicht versucht, das amerikanische Volk zu einen, der nicht mal vorgibt, es zu versuchen. Stattdessen versucht er, uns zu spalten.“ Der Militäreinsatz in Washington, bei dem Trump sich mit Tränengas den Weg zu einem Fototermin freischießen ließ, habe die Verfassung verletzt. „Wir erleben gerade die Konsequenzen aus drei Jahren ohne reife Führung.“
Mattis’ Text erschien am Mittwochabend online. Kurz zuvor hatte sich auch der aktuelle Verteidigungsminister Mark Esper gegen einen Militäreinsatz im Inneren ausgesprochen. Seither wird darüber spekuliert, ob Esper bald fliegt. Im Weißen Haus, hieß es, sei seine Einschätzung nicht gut angekommen.
Trump selbst schoss gestern – wie so oft – via Twitter zurück. Er sei froh, Mattis los zu sein, schrieb der Präsident. „Ich mochte weder seinen Führungsstil noch viel anderes an ihm.“
Das liberale Amerika schrecken solche Botschaften ab. Es hört lieber dem Ex-Präsidenten zu. Es finde gerade ein „Wandel der Denkweise“ statt, sagt Obama in seinem Video. Ein Wandel im Weißen Haus käme dem wohl entgegen. MARCUS MÄCKLER