Keine Zeit für Streit

von Redaktion

VON THERESA MÜNCH, JÖRG BLANK UND MARCO HADEM

Berlin – Es ist nicht lange her, da schien nicht mehr viel zu retten in dieser Koalition. Dann kam ein Virus – und plötzlich wirkt es, als habe sich die GroKo notgedrungen, zumindest vorübergehend, selbst therapiert. So ist bei diesem Koalitionsausschuss einiges anders: Trotz 21 Stunden langer Verhandlungen gibt es am Ende keine Augenringe. Man hat Dinge überschlafen, statt sie übermüdet durchzuboxen. Danach kaum Polemik, viel weniger Lästern über den oft ungeliebten Partner. Und – in der Endphase dieser schwierigen schwarz-roten Koalition – noch einmal fast ein kleiner Koalitionsvertrag.

Die Corona-Pandemie zwingt CDU, SPD und CSU, sich noch einmal zusammenzureißen – zu einem Zeitpunkt der Legislatur, zu dem Parteien normalerweise schon ganz anderes im Sinn haben. Allen ist klar: Die Zusammenarbeit soll nur noch etwas mehr als ein Jahr dauern – manche hätten sie gern früher beendet. Die Krise trifft sie nun an einem Punkt, an dem normalerweise maximal noch der Koalitionsvertrag abgearbeitet wird – vor allem aber langsam der Positionskampf für die nächste Wahl beginnt. Das tritt angesichts der Pandemie in den Hintergrund. Doch so ganz können die Koalitionäre nicht verleugnen, dass über allem irgendwie schon der Schatten der Bundestagswahl 2021 schwebt.

Das liegt auch daran, dass auf beiden Seiten des Tisches Akteure sitzen, die schon in wenigen Monaten gegeneinander um die Kanzlerschaft kämpfen könnten. Allen voran Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) und CSU-Chef Markus Söder. Noch halten sich beide zurück. Doch selbst in der CDU sähen einige Söder inzwischen lieber als die eigenen möglichen Kandidaten, NRW-Ministerpräsident Armin Laschet und Ex-Unionsfraktionschef Friedrich Merz.

In der SPD mag Scholz zwar beim neuen Führungsduo denkbar unbeliebt sein – doch Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans werden nur schwer gesichtswahrend am bundesweit beliebtesten Sozialdemokraten vorbeikommen. In der Union wird die Information gestreut, er habe sich in den Verhandlungen doch sehr bemüht, den beiden seine Kanzlerfähigkeit zu demonstrieren. Gut möglich aber, dass dahinter auch der Gedanke der Union steckt: Ein bisschen Zwietracht säen kann nicht schaden, so kurz vor einem harten Wahljahr.

Kann man an den Koalitionsbeschlüssen ablesen, wer von beiden sich besser geschlagen hat? Eindeutig ist das nicht. Scholz und die SPD setzen Hilfen für Kommunen und Familien durch, müssen sich aber bei den kommunalen Altschulden geschlagen geben. Söder und die Union bekommen Milliardenunterstützung für Unternehmen, aber keine Autoprämie. Aufrechnen lässt sich das nur schwerlich.

Was auffällt ist, dass nachher niemand auskeilt. Stattdessen ist die Rede von einer hervorragenden Atmosphäre ohne große Stimmungsschwankungen. Auch dass jeder Koalitionspartner die beschlossene Mehrwertsteuersenkung am nächsten Tag für sich beansprucht, löst kaum Stirnrunzeln aus. Aus der Union heißt es, man habe die Sozialdemokraten damit überrumpelt. Bei der SPD stand es wohl auch auf dem Zettel – man habe aber aus taktischen Gründen abgewartet.

CSU-Chef Söder bemüht sich in diesem Zusammenhang redlich, den Verzicht auf die eigentlich von seiner Partei vehement geforderte Prämie für Autos mit Verbrennermotor als Erfolg zu präsentieren. Sowieso ist der früher quasi als Sozi-Fresser bekannte Söder voll des Lobes für die Sozialdemokraten. So habe man beim 300-Euro-Kinderbonus – einem Kernanliegen der SPD – und der von der CSU vorgeschlagenen höheren Entlastung für Alleinerziehende „Doppelpass mit der SPD“ gespielt.

Und wie hat sich Merkel geschlagen? Die Kanzlerin habe die Verhandlungen mit einer Agenda geführt, sagen selbst Unionsleute anerkennend, die mit ihrer sonst als vermittelnd und ausgleichend beschriebenen Verhandlungsführung eher weniger anfangen können. Vielen auch in der Union sei noch gar nicht klar, was es bedeute, wenn man im kommenden Jahr ohne die aktive Kanzlerin Merkel auf den Plakaten in den Bundestagswahlkampf ziehen müsse, heißt es in der Partei besorgt.

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