Randale im schwäbischen Herzen

von Redaktion

VON MIKE SCHIER

Stuttgart/München – Es ist eine kurze Sequenz, die sich am Tag danach wie ein Lauffeuer im Internet verbreitet. Man sieht darauf, wie ein behelmter Polizist eine Person zu Boden reißt und sich auf sie kniet. Ein paar Augenblicke lang wirkt es, als sei die Situation damit unter Kontrolle. Doch dann nähert sich von hinten ein Angreifer. Auf einem zweiten Video kann man gut erkennen, dass er den Polizisten mit einem Kung-Fu-Kick attackiert. Der Beamte fliegt in hohem Bogen über den Asphalt.

Am Tag danach kann man sich mühsam mit kleinen Filmchen im Internet zusammensetzen, was in der Nacht in Stuttgart passiert sein muss. Der Schlossplatz und die Königstraße – sie sind das Herz der schwäbischen Metropole, vergleichbar mit Marienplatz und Kaufinger Straße in München. Die Theodor-Heuss-Straße, wo sich zahlreiche Clubs und Diskotheken befinden, liegt gleich ums Eck. Hier feiern an normalen Samstagen tausende, auch aus dem Umland.

Diesmal herrscht alles andere als Party-Stimmung. Schaufenster werden eingeschlagen, Blumenkübel herausgerissen, Pflastersteine und Flaschen fliegen. Plünderer dringen in insgesamt neun Geschäfte ein, vor allem von Mobilfunkanbietern, ein „EuroShop“ wird verwüstet. Stundenlang dauert es, bis die Polizei mithilfe von Kollegen aus der ganzen Region die Situation unter Kontrolle bekommt.

Ersten Erkenntnissen zufolge begann alles ganz harmlos, als die Polizei einen 17-Jährigen wegen eines Drogendelikts kontrollieren wollte. Thomas Berger, Vize-Präsident der Stuttgarter Polizei, fügt vor Journalisten – „um ihre Frage vorwegzunehmen“ – hinzu: Es handelte sich um einen deutschen Staatsbürger „mit weißer Hautfarbe“. Sofort hätten sich 200 bis 300 Personen aus der Partyszene mit dem Mann solidarisiert und die Polizisten mit Steinen und Flaschenwürfen angegriffen. „Die Gruppe wuchs dann ständig an.“ Am Schlossplatz seien es schließlich bis zu 500 Menschen gewesen. Auch Mitarbeiter des Rettungsdienstes wurden angegriffen.

„Solche Szenen hat es in Stuttgart nie gegeben“, sagt Berger. Die Gruppe setzte sich aus der „Eventszene“ zusammen, sagt der Polizist. Einen politischen Hintergrund gibt es nach ersten Erkenntnissen nicht. Weil man die erste Welle nicht in den Griff bekam, seien die Randalierer in Kleingruppen weiter durch die Stadt gezogen, berichtet der Polizist. Insgesamt wurden 24 Personen festgenommen, genau die Hälfte von ihnen hat einen deutschen Pass. Sieben sollten am Sonntag dem Haftrichter vorgeführt werden.

Die Politik reagiert schockiert. Der grüne Oberbürgermeister Fritz Kuhn preist die sonst so besondere Stimmung der Innenstadt. „Wer so etwas tut, muss wissen, dass er die Freiheit der schönen Stuttgarter Sommernächte mit solchem Handeln massiv gefährdet.“ Der geschockte OB klingt ein wenig so, als erkläre er kleinen Kindern, dass Plündern nicht in Ordnung ist. Ministerpräsident Winfried Kretschmann stellt schließlich unmissverständlich klar: „Diese Taten gegen Menschen und Sachen sind kriminelle Akte, die konsequent verfolgt und verurteilt gehören“

Die Nacht könnte durchaus politische Auswirkungen haben. Im November wählt die Stadt einen neuen Oberbürgermeister – der Grüne Kuhn tritt nicht mehr an. „Stuttgart war seit jeher eine Stadt der Toleranz und des wechselseitigen Respekts“, sagt CDU-Kandidat Frank Nopper, als er sich am Sonntagmorgen ein Bild von den Schäden macht. „Aber wir müssen uns Gewalttätern und Plünderern mit vereinten Kräften mit ganzer Entschlossenheit entgegenstellen.“ Gut möglich, dass die Randale jetzt ein zentrales Thema werden.

Wenigstens eine gute Nachricht gibt es am Sonntag: Der Polizist, der auf dem Video mit einem Kung-Fu-Kick attackiert wurde, überstand die Attacke ohne schwerere Verletzungen.

Artikel 10 von 11