Rom – Er ist das Accessoire unserer Tage. Der Mund-Nasen-Schutz, auch genannt Gesichts- oder Schutzmaske. Erhältlich in den Nationalfarben, mit Smiley, mit dem Wappen des Lieblingsfußballvereins oder modisch aufwendig gestaltet. Wir tragen ihn ungerne, aber die meisten doch mit Pflichtgefühl, weil er zum Beispiel in den öffentlichen Verkehrsmitteln oder beim Supermarktbesuch vorgeschrieben ist.
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hält eine Schutzwirkung von selbst hergestellten Masken für nicht gegeben. Medizinische Gesichtsmasken schützten immerhin vor dem Tröpfchenauswurf des Trägers. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hielt das Tragen des Mund-Nasen-Schutzes erst für unangebracht, änderte dann aber ihre Meinung. In Italien soll man „la mascherina“ auch tragen, wenn draußen der Sicherheitsabstand von einem Meter zu den Mitmenschen nicht einzuhalten ist. Meist baumelt sie jedoch lässig am Handgelenk, oder man schiebt sie unters Kinn.
Wie es scheint, schützt das Tragen von Schutzmasken doch vor Covid-19, allerdings aus ganz anderen Gründen als denjenigen, die wir annehmen. Das hat Massimo Marchiori, Informatiker und Professor für Mathematik an der Universität Padua, herausgefunden. Marchiori, der bereits die Gründer von Google mit seinen Algorithmus- und Suchmaschinen-Forschungen inspirierte, suchte schon zu Beginn der Pandemie im vergangenen Winter nach Studien zum social distancing, fand aber nichts. Also legte er selbst los.
Der 51-Jährige verwendete eine Testmethode, um den effektiven Abstand zwischen den Personen festzustellen. Mit einem Ultraschall-Sensor ausgerüstet, der zentimetergenau Abstände misst und einer Software zur Aufzeichnung, begaben sich Marchiori und drei seiner Freunde zur Hochzeit der Pandemie in Italien ins soziale Gewühle der Stadt Mestre bei Venedig. Marchiori wohnt hier. Zwischen Ende Februar und Ende April maßen die vier knapp 15 000 Begegnungen, 7500 davon auf Bürgersteigen sowie 6300 in Supermärkten. „Das Ergebnis war erstaunlich“, sagt Marchiori.
Im Durchschnitt hielten die Mitbürger nur rund 30 Zentimeter Abstand zu den vier Testern, im Supermarkt waren es rund 35 Zentimeter. „Wenn wir Gesichtsmaske trugen, verdoppelte sich dieser Abstand. Wenn wir dazu noch eine Schutzbrille trugen, verdreifachte er sich sogar.“ Marchioris Folgerung: Die Natur des Menschen als soziales Wesen spielt uns in Zeiten wie diesen einen Streich. „Anstatt Abstand zu halten, tendieren wir aufgrund unserer sozialen Natur zum Kontakt, sogar in der Pandemie“, sagt der Mathematiker. Das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes hingegen hält die Mitbürger auf Abstand. „Die Maske wirkt auf uns wie ein Signal für Gefahr“, sagt Marchiori. Die Folge: Zu Maskenträgern geht das soziale Wesen Mensch instinktiv auf Abstand, haben die Maskenträger zudem noch eine Plastikbrille auf, nimmt die Vorsicht noch zu.
Die Forscher stellten auch fest: Am mangelnden social distancing änderten die Kampagnen nichts, die die Italiener zum Zuhausebleiben und mehr Vorsicht aufriefen. „Der Abstand blieb im Durchschnitt immer gleich“, sagt Marchiori. Zu mehr Distanz führte nur das Tragen von Mundschutz oder Brillen. JULIUS MÜLLER-MEININGEN