Seehofer in der Sackgasse

von Redaktion

VON WERNER KOLHOFF

Berlin – Angela Merkel gegen Horst Seehofer, die Paarung kennt man. Nach dem lange Ruhe eingekehrt war, ist die Kanzlerin jetzt wieder mit ihrem Innenminister aneinander geraten. Manch einer verspürte am Dienstag in der Hauptstadt schon einen „Hauch von 2018“ – damals standen sogar die Unionsparteien CDU und CSU wegen der Grenzschließungen knapp vor einem Bruch. Für Merkel (CDU) geht es wieder um eine Grundsatzfrage, diesmal die Pressefreiheit. Und für Seehofer (CSU) wieder um Gesichtswahrung.

Mit einer Ankündigung, die er zuvor nicht mit Merkel abgestimmt hatte, brachte sich der Innenminister auch diesmal selbst in die Bredouille. Wie damals. Er werde Anzeige gegen eine Journalistin der linken „taz“ erstatten, teilte Seehofer am Montag fest entschlossen mit. Die Kolumnistin hatte vor dem Hintergrund der Polizeigewalt in den USA gegen Schwarze darüber phantasiert, was man mit den Beamten anfangen könne, wenn es einmal keine Polizei mehr gebe. Ihr Schluss: Eigentlich seien die zu gar nichts nutze, sie gehörten auf die Mülldeponie. „Unter ihresgleichen fühlen sie sich bestimmt auch selber am wohlsten.“

Die Empörung war allgemein, vor allem in den Polizeigewerkschaften und unter Innenpolitikern. Und auch Merkel ließ mitteilen, sie stehe „aus tiefer Überzeugung zu den Polizisten und Polizistinnen“. Am stärksten echauffierte sich die AfD. Die Abgeordnete Beatrix Storch erstattete Anzeige, wie auch etliche Einzelpersonen. In der „taz“-Redaktion gab es ebenfalls eine Diskussion; die Chefredakteurin Barbara Junge entschuldigte sich für die „danebengegangene“ Kolumne, die sie Satire nannte.

Seehofer hatte schon letzten Freitag deutlich gemacht, wie sehr ihn die fortgesetzten Angriffe auf Polizeibeamte beunruhigen. „Er hat das tiefe Empfinden, dass sich die Politik und alle Teile der Gesellschaft auch schützend vor die Polizisten stellen müssen“, so sein Sprecher. Nach den Ausschreitungen von Stuttgart platzte dem Minister der Kragen. Er stellte eine Zusammenhang mit dem „taz“-Beitrag her: „Eine Enthemmung der Worte führt unweigerlich zu einer Enthemmung der Taten und zu Gewaltexzessen, genauso wie wir es jetzt gesehen haben.“

Doch die so fest angekündigte Anzeige wurde doch nicht erstattet, weil Merkel intervenierte. Die Kanzlerin sei mit dem Minister über die Anzeige im „vertraulichen Gespräch“, teilte Regierungssprecher Steffen Seibert dazu wortkarg mit. Sie hatte offenbar zum Hörer gegriffen und Seehofer zurückgepfiffen. Nun wurde ein gesichtswahrender Ausweg für den Minister gesucht.

Seehofer verschob die Entscheidung über die Anzeige erst auf Montagmittag, dann auf Montagabend und auch am Dienstag immer wieder. Im Ministerium herrschte Krisenstimmung. Eine für Dienstag angekündigte Pressekonferenz zum Verfassungsschutzbericht 2019 wurde ohne Angabe von Gründen kurzfristig abgesagt, ebenso alle anderen Termine des Tages. Die Möglichkeit eines Rücktritts lag in der Luft.

Seehofer übt nicht zum ersten Mal Pressekritik, er ist ein Wiederholungstäter. So sagte er 2018 seine Teilnahme am Integrationsgipfel kurzfristig ab, weil dort auch eine Journalistin saß, die seinen Heimatbegriff zuvor mit dem der Nazis in Verbindung gebracht hatte. Merkel hingegen hat zuletzt im Mai den Wert der Pressefreiheit und eines unabhängigen Journalismus beschworen. Schon wurde ihr Regierungssprecher am Montag gefragt, ob die Kritik der Kanzlerin an der mangelnden Pressefreiheit in Ländern wie der Türkei, Russland oder China angesichts des Vorgehens Seehofers noch glaubhaft sei.

Außerdem ist die Kanzlerin ein gebranntes Kind. Im Frühjahr 2019 nämlich hatte sie ein Schmähgedicht des Satirikers Jan Böhmermann gegen den türkischen Präsidenten Erdogan als „bewusst ehrverletzend“ bezeichnet und der Türkei erlaubt, den Fernsehmann deswegen in Deutschland anzuzeigen. Beides ging nach hinten los. Die kritische Öffentlichkeit und Gerichte waren anderer Meinung.

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