Berlin – Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) wirbt dafür, dass sich mehr EU-Länder an der Vereinbarung zur Verteilung von aus Seenot geretteten Migranten beteiligen. Die im vergangenen Jahr zwischen Deutschland, Frankreich, Italien und Malta getroffenen Absprache könne Modellcharakter für eine Asylreform haben und „eine Blaupause für eine Einigung in Europa sein“, sagte Seehofer jetzt der „Welt am Sonntag“. Seehofer hofft, dass es während der sechsmonatigen deutschen EU-Ratspräsidentschaft zu einer europäischen Asylrechtsreform kommt. In dieser Zeit leitet er die Treffen der EU-Innenminister und kann die politische Agenda beeinflussen.
Um voranzukommen, will Seehofer erst Verfahrensfragen klären und die Frage der Verteilung von Flüchtlingen vertagen. Die ist seit Jahren Knackpunkt bei der Reform der sogenannten Dublin-Regeln. Nach denen sind bisher meist die Länder für eine Aufnahme zuständig, in denen eine Person erstmals europäischen Boden betritt. Im Prinzip sind das also fast immer Mittelmeer-Anrainer wie Italien, Griechenland, Spanien, Zypern oder Malta. Die fühlen sich überfordert und von der restlichen EU im Stich gelassen. Andere Länder wie Polen oder Österreich lehnen jedoch einen festen Verteilmechanismus oder, wie Ungarn, jegliche Aufnahme von Asylbewerbern ab.
Wie schwierig die Verteilungsfrage ist, zeigt sich schon an der Seenotrettung, obwohl es hier nur um vergleichsweise wenige Menschen geht. Schiffe privater Hilfsorganisationen mussten in den letzten Jahren oft Tage oder gar Wochen warten, bis sie mit im Mittelmeer geretteten Flüchtlingen an Bord einen Hafen anlaufen durften. Erst verhandelten die EU-Staaten, wer jeweils wie viele Gerettete aufnehmen würde. Ohne Aufnahme-Zusagen verweigerten Italien und Malta meist das Anlanden.
Erst im Herbst 2019 verkündeten Deutschland, Frankreich, Italien und Malta eine Einigung auf ein Verfahren. Möglichst viele Länder sollten sich freiwillig an einem Verteilmechanismus beteiligen. Wie die Vereinbarung aber zur Blaupause werden soll, ist unklar. Zwar haben sich Wartezeiten für Seenotretter offenbar im Durchschnitt verkürzt. Aber nur „fünf bis sechs Staaten“ beteiligen sich laut Seehofer derzeit. Und auch Deutschland hat bislang nur einen Teil der Menschen aus Italien geholt, deren Aufnahme zugesagt ist.
Überhaupt will Seehofer die Frage der Verteilung zunächst ausklammern und erst erreichen, dass schon an den EU-Außengrenzen eine Vorprüfung der Bleibeperspektive erfolgt. Nur bei positiver Vorprüfung sollen Schutzsuchende in der EU verteilt, andernfalls direkt abgewiesen werden. Sei diese Schlüsselfrage geklärt, werde die Verteilung einfacher.
Seehofer will zunächst Vorschläge der EU-Kommission abwarten, die im September vorliegen könnten. Dann werde es zwar eng mit einer Reform während der Ratspräsidentschaft, sagte Seehofer. Aber für eine grundlegende politische Einigung könne die Zeit noch reichen. Anders als voraussichtlich die Kommission, will Seehofer nicht verlangen, dass alle Länder Geflüchtete aufnehmen. Es sei akzeptabel, dass einzelne Staaten sich anders einbrächten. STEFAN REICH (mit dpa)