München/Berlin – Der Tag begann damit, dass Helge Braun dem Frühstücksfernsehen ein Interview gab. Für den Mittag war eine Videoschalte des Kanzleramtsministers mit den Staatskanzleichefs der Länder angesetzt, im Mittelpunkt standen der künftige Umgang mit lokalen Corona-Ausbrüchen und das Ausmaß von Ausreiseverboten. Die Debatten hatten in den vergangenen Tagen eine erhebliche Temperatur erreicht, doch schon morgens um acht war Braun erkennbar bemüht, das Thema herunterzukühlen. „Schneller, kleinräumiger, präziser“ wolle man künftig handeln, eine Ausreisesperre für ganze Landkreise stand nicht mehr auf der Agenda: „Solche Beschränkungen sollen auch einen Teil ihres Schreckens verlieren.“
Das klang vor ein paar Tagen noch anders. Bis zum Wochenbeginn hatte das Kanzleramt Sympathien erkennen lassen, ganze Landkreise mit Ausreisebeschränkungen zu belegen. Nicht nur in den Ländern regte sich daraufhin Widerspruch. Auch Kommunen meldeten lautstark Bedenken an.
Fürchten muss sich nun tatsächlich niemand mehr, der Radius um künftige Corona-Hotspots könnte unverhältnismäßig groß ausfallen. Bund und Länder einigten sich darauf, dass Beschränkungen „zielgerichtet erfolgen“ und sich nicht „auf den gesamten Landkreis beziehungsweise die gesamte kreisfreie Stadt beziehen“, sondern auf „tatsächlich betroffene Bereiche“.
Konkret heißt das, dass nach einem Corona-Ausbruch in der Jachenau nicht automatisch auch die Menschen im fernen Wolfratshausen in Mithaftung genommen werden, bloß weil sie im selben Landkreis leben. So war es in Ostwestfalen geschehen, nachdem beim Fleischkonzern Tönnies über tausend Infektionen festgestellt worden waren. Erst wurde der Landkreis Gütersloh abgeriegelt, bald darauf auch der Nachbarkreis Warendorf. Ein Gericht kippte die Verordnung schließlich mit dem Hinweis, ein kreisweiter Lockdown sei nicht verhältnismäßig.
Das Wort „Ausreisesperren“ findet sich in dem gestrigen Beschluss von Bund und Ländern nicht mehr. Die Rede ist nun von „Beschränkungen nicht erforderlicher Mobilität in die besonders betroffenen Gebiete hinein und aus ihnen heraus“. Das heißt im Prinzip das Gleiche, klingt aber weniger bedrohlich.
Auch um solche Befindlichkeiten war es zuletzt gegangen. Besonders im Osten Deutschlands schwoll der Widerstand gegen kreisweite Ausreiseverbote massiv an. Allein schon aus historischen Gründen seien Beschränkungen für die Menschen gerade hier „mit besonderen Erfahrungen verbunden“, gab Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier (CDU) zu bedenken und kam zu dem Ergebnis: „Wir machen das auf keinen Fall.“ Nicht weniger energisch äußerten sich die Kollegen Michael Kretschmer aus Sachsen („können es nahezu ausschließen“) und Reiner Haseloff aus Sachsen-Anhalt („Das funktioniert so nicht“).
Unverändert bleiben die Regeln für Rückkehrer aus dem Ausland, die sich in einem Risikogebiet aufgehalten haben. Sie sind weiterhin verpflichtet, sich für 14 Tage in häusliche Quarantäne zu begeben. Ausnahmen sind nur bei Durchreise und triftigen beruflichen Gründen möglich oder wenn man einen negativen, maximal 48 Stunden alten Test vorlegen kann.
Die Gesundheitsminister, die gestern ebenfalls tagten, erwägen darüber hinaus zusätzlich gezielte Corona-Tests für Rückkehrer. „Ganz zufrieden bin ich mit der jetzigen Lösung nicht“, sagte die Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz, Berlins Ressortchefin Dilek Kalayci (SPD). Kommende Woche beraten sich die Minister erneut. Dann steht das Thema wieder auf der Agenda.mit dpa