Die EU-Gipfelbeschlüsse dieser Woche in Brüssel bedeuten endgültig den Eintritt in eine europäische Schuldengemeinschaft. Vielleicht war es notwendig und ob es hilft, wird die Geschichte zeigen. England aber macht nicht mehr mit, obwohl es mit seiner hohen Gesamtverschuldung Hilfe mehr denn je brauchen könnte. Es wird aber sogar einen „harten Brexit“ geben. Die Austrittsverhandlungen sind zum Scheitern verurteilt, weil Brüssel die unrealistische Forderung nach Beibehaltung von EU-Standards stellt. Trotz ihrer schwachen Industrie fühlt sich die Regierung von Boris Johnson befreit ohne die Fesseln der EU. Man plant schon eine Runderneuerung für eine weitgehend subventionsfreie Landwirtschaft. Künftig dürfen die in EU-Europa verpönten, genetisch veränderten Pflanzensorten angebaut werden. Dazu könnte glutenfreier Weizen ebenso gehören wie Zuckerrüben, die geschützt sind vor Krankheiten. Dazu Kartoffeln, die sehr viel gesünder und weniger krankheitsanfällig sind. Die teuren und nach dortiger Auffassung unwissenschaftlichen Restriktionen der EU möchte man beiseiteschieben. Dadurch sollen Chancen für kleinere und mittelgroße Geschäfte wie für Landwirte eröffnet werden.
England geht auch schon mutige Schritte in eine EU-unabhängige Außenpolitik. Berlin hatte es wegen China nicht einmal gewagt, der neugewählten Präsidentin von Taiwan zur Wahl zu gratulieren. Auch die Beseitigung der bürgerlichen Freiheiten in Hongkong wird bei uns kaum angeprangert. England aber stellt sich offen gegen China. Alle vor 1976 geborenen Hongkong-Chinesen sind willkommene Einwanderer in Großbritannien. Nach einem Jahr Aufenthalt ist ihnen der britische Pass versprochen. Auch wenn davon vermutlich nur einige hunderttausend gut ausgebildete und kluge Hongkong-Chinesen Gebrauch machen werden, kann daraus ein britisches Wirtschaftswunder werden. Ebenso lehnt England es ab, technische Teile der chinesischen Telefonbaufirma Huawei in das neue 5G-Netzwerk zu übernehmen. Die Sorge um Überwachung durch darin enthaltene chinesische Software ist zu groß. Berlin dagegen hat sich zu diesem Schritt immer noch nicht durchringen mögen aus Angst, China zu verärgern.
England scheut sich auch nicht, Personen und Firmen, die sich Verstöße gegen die Menschenrechte haben zuschulden kommen lassen, mit scharfen Sanktionen zu belegen. Wird in England ein anerkannter Asylant von einem östlichen Geheimdienst ermordet, dann führt das zu großer öffentlicher Empörung und zu Konsequenzen. In Deutschland und Österreich dagegen scheint sich kaum jemand dafür zu interessieren, wenn im Berliner Tiergarten oder in Wien Auftragsmorde verübt werden.
England ist einmal mehr bereit, für die Sache des Guten große Risiken für seinen Wohlstand und seine Wirtschaft einzugehen. Von einer „splendid isolation“, wie es einmal vor dem Ersten Weltkrieg hieß, kann keine Rede sein. Im Gegenteil. Fast wie – unter ganz anderen Umständen – 1940 gegen die faschistischen Staaten steht England heute in Europa allein, aber wieder auf der Seite der Freiheit und des Rechtes. Das englische „carry on“, das Einstehen für die als richtig und gut erkannte Sache, ist und bleibt ein bewundernswertes Markenzeichen unserer Vettern auf der anderen Seite des Kanals.
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