Erdogans neue Türkei

von Redaktion

Irak, Syrien, Libyen: Die Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee ist Symbol für die Expansionspolitik Ankaras

München – Natürlich lässt er sich diese Gelegenheit nicht entgehen. Beim ersten Freitagsgebet in der Hagia Sophia seit über 80 Jahren zitiert Recep Tayyip Erdogan höchstselbst Verse aus dem Koran; die Maske, die er trägt, ist so weiß wie die Tücher, die oben im Gewölbe die byzantinischen Bilder von Maria und Jesus verdecken. Dieser Ort, sagt der Präsident später, habe nun „zu seinem Ursprung zurückgefunden“. Historisch liegt er daneben – immerhin wurde die Hagia Sophia als Kirche erbaut. Aber darauf kommt es ihm nicht an.

Kritiker werfen Erdogan vor, mit der Rückumwandlung des Gebäudes vom Museum zur Moschee von wirtschaftlichen Problemen ablenken zu wollen. Im Kern ist es aber auch ein machtpolitisches Zeichen. Erdogan hat den Bruch mit der kemalistischen, westorientierten Politik nun auch symbolisch vollzogen. Praktisch zeigt sich die Abkehr seit Jahren – vor allem im außenpolitischen und militärischen Verhalten.

Während Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk eine neutrale Türkei wollte, die benachbarte Territorien in Ruhe lässt, setzt Erdogan auf Expansion. Der Präsident wolle eine Türkei, die sich „auf die Geschichte und imperiale Größe des osmanischen Reiches besinnt“, sagte der Türkei-Experte Günter Seufert unlängst der Deutschen Welle. Diesen Machtanspruch untermauert Erdogan mit immer neuen militärischen Abenteuern.

Seit Jahren kämpfen seine Truppen im Irak und in Syrien – vor allem gegen kurdische Milizen. Ob es bei Einsätzen auf Zeit bleibt, bezweifeln viele. Dass Ankara in Idlib die Lira als Zahlungsmittel einführte, schürt jedenfalls die Angst vor einer Annexion.

Der heißeste Konflikt spielt sich aber in Libyen ab, wo die Türkei binnen kürzester Zeit zu einem wichtigen Faktor geworden ist. Die Hauptstadt Tripolis stand im Frühling vor der Einnahme durch General Chalifa Haftar – erst Soldaten und Waffen aus Ankara sorgten dafür, dass die schwache „Einheitsregierung“ von Ministerpräsident Fajis al-Sarradsch den General zurückdrängen konnte. Die Unterstützung kam aber nicht umsonst. Sie war Teil eines Deals mit al-Sarradsch, in dem beide Seiten das Mittelmeer unter sich aufteilten. Erdogan rechtfertigt damit seine Suche nach Erdgas in eigentlich griechischen Gewässern, was zu ernsten Spannungen mit Athen führt. Angeblich soll Anfang der Woche nur eine Intervention aus Berlin einen Konflikt verhindert haben.

Der immer sichtbarer werdende Wille zur Macht zeigt sich auch in der von Erdogan forcierten Stärkung der heimischen Rüstungsindustrie. Lange war die Türkei von Lieferungen aus dem westlichen Ausland abhängig. Doch auch hier will der Präsident offenbar die Drähte kappen. Ankara ist jedenfalls längst zu einer heimlichen Drohnen-Großmacht geworden. Noch im März prahlte das Verteidigungsministerium damit, im Kampf um Idlib binnen weniger Tage 150 syrische Panzer mit der selbst entwickelten Drohne „Bayraktar TB2“ zerstört zu haben.

Irak, Syrien, Libyen – und bald Griechenland? Erdogans Kriegslust scheint kein Ende zu finden. Kein Wunder, dass Athen in Habachtstellung geht, zumal die Türkei ihre militärische Präsenz im Mittelmeer noch ausbauen will. Nur Verhandlungen unter Vermittlung der großen Nato-Partner könnten einen Krieg verhindern, sagt der Türkei-Experte Seufert. Fragt sich nur, ob Erdogans militarisierte Türkei noch ein Interesse an Diplomatie hat.  mmä/dpa

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