München – „Wehret den Anfängen“, sagte der Herr Staatsminister wuchtig. Ab sofort dürften die Hotels in Bayern leider keine Gäste mehr aus Corona-Hotspots aufnehmen, gerade nicht aus Nordrhein-Westfalen. „Eine Schutzmaßnahme, die wir für wirklich notwendig halten.“ Am 23. Juni war das. Florian Herrmann (CSU), der Staatskanzleichef, war sehr besorgt über die hohen Infektionszahlen im Kreis Gütersloh. Auch eine Intervention des NRW-Ministerpräsidenten half nichts – Bayern blieb hart beim Beherbergungsverbot.
Man muss sich die Augen reiben jetzt, fünf Wochen später. Erneut ist eine kritische Marke überschritten, diesmal aber in Bayern. Der Corona-Ausbruch auf dem Gemüsehof in Mamming erfüllt die Vorgaben, um ungetestete Bürger aus dem Landkreis Dingolfing-Landau sofort in deutschen Hotels abzuweisen. Vierfach ist der Grenzwert von 50 Neuinfektionen auf 100 000 Einwohner überschritten. Aus allen Teilen der Republik tröpfeln Beherbergungsverbote ein: Der ganze Nordosten, dazu Rheinland-Pfalz. An diesem Dienstag stehen bayerische Minister vor den Kameras und erklären mit vielen „Ähs“ und in Satzgirlanden, dass sie auch nicht so genau wissen, was nun gilt. Man solle am besten mal im Hotel anrufen. Das Chaos ist perfekt, weil zeitgleich der Verwaltungsgerichtshof die bayerischen Verbote aufhebt.
Der Hotspot vom Gemüsehof trifft Bayerns Politik tatsächlich mit Wucht. Das Ausmaß bleibt unter dem Gütersloher Tönnies-Schlachthof-Debakel, aber die bundesweite Aufmerksamkeit ist vergleichbar. Es geht um Risiken einer zweiten Welle, um die harten Arbeitsbedingungen der Erntehelfer aus Osteuropa – aber unausgesprochen auch um Markus Söders Krisenmanagement, seine Ambitionen und forschen Worte.
Wer in der Corona-Krise versage, habe „keinen moralischen Führungsanspruch“, sagte hatte der Ministerpräsident neulich. Der bundesweiten Berichterstattung über Mamming ist eine gewisse Lust anzumerken, jetzt Söder ein Versagen nachzuweisen.
„Die nächsten Tage sind kritisch“, sagt Staatskanzleichef Herrmann offen. Derzeit wird rund um Mamming mit Feuereifer getestet, noch liegen nur Teil-Ergebnisse vor. Falls die Infektionen gestreut haben, wird die Lage unübersichtlich. Dann droht landkreisweit ein Lockdown, vielleicht würden andere Regionen ganz Niederbayern zum Risikogebiet erklären. „Droht Söder ein Tönnies-Moment?“, titelt die „FAZ“, „Testfall für Söder“, schreibt der „Spiegel“.
Die Tönnies-Sache hat zum Umfrage-Sturz des NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet beigetragen. Er verhängte den regionalen Lockdown erst nach längerer Denkpause, später fiel ihm ein Gericht in den Arm. Einen „Krisenstolperer“ nannte ihn der WDR und bilanzierte Ende Juni nur noch 46 Prozent Zufriedenheit im Land. Bei den Corona-Statistiken unterscheiden sich Bayern und NRW gar nicht so stark, in der bundesweiten Wahrnehmung gilt Laschet aber als schwacher, Söder als starker Krisenmanager.
In München weiß man, dass diese Umfragewerte zerbrechlich sind. Söder reagiert auffällig offensiv und mit allen Mitteln, schon am Sonntag, als die Mamminger Zahlen hereinplatzen. Sofort wird Bundesgesundheitsminister Jens Spahn aus dem Urlaub geklingelt, er ist eh in der Nähe am Tegernsee. Für Montagmorgen setzt Söder eine Eil-Pressekonferenz an, verfügt Massentests aller Erntehelfer in ganz Bayern, verfünffacht den Bußgeldrahmen und lässt ein Test-Zelt im Ort bauen. Am Dienstag verkündet die Staatsregierung, dass die Bundeswehr in Niederbayern eingesetzt wird. Zeitgleich befeuert Söder die Debatte um bundesweite Tests für Urlaubsheimkehrer und lässt in Rekordzeit Testzentren an Bahnhöfen und Autobahnen hochziehen. Noch am Montagabend lenkt Spahn ein, und die Schlagzeilen sind weg von Mamming.
Der „Gurken-Gau“ vom Gemüsehof ist also ein Testfall: Bekommt Bayern das unter Kontrolle, kann Söder hinterher sagen, wie Recht er doch mit allen Warnungen hatte. „Corona verzeiht keinen Leichtsinn“, sagt der Ministerpräsident am Montag. Er weiß: Auch ihm nicht.