Landshut – Gut 70 anonyme Drohmails, alle gezeichnet mit „NSU 2.0“ – und vielleicht kommt ein Teil von ihnen aus Niederbayern. Zumindest der Verdacht steht im Raum, seit Ende letzter Woche ein Ex-Polizist aus Landshut kurzzeitig festgenommen wurde. Die Sache ist hochbrisant, inzwischen hat sich auch der bayerische Verfassungsschutz eingeschaltet. „Sofern sich Erkenntnisse (…) zu dem Sachverhalt ergeben, werden diese an die Polizei und Staatsanwaltschaft übermittelt“, sagte ein Sprecher unserer Zeitung auf Anfrage. Man untersuche „etwaige Bezüge zu extremistischen Bestrebungen“.
Die Spur nach Landshut war am Montag bekannt geworden. Schon am Freitag hatten Ermittler der zuständigen Frankfurter Staatsanwaltschaft das Haus des pensionierten Beamten und seiner Frau durchsucht und beide befragt. Das Paar wird verdächtigt, sechs der Mails verschickt zu haben – unter anderem an die Fraktionschefin der Linken im Bundestag, Amira Mohamed Ali, und ihre Kollegin Sevim Dagdelen.
Im Gespräch mit unserer Zeitung bestreitet der 63-Jährige die Vorwürfe. Die genannten Mails seien „unterstes Niveau“, sagte er. Darin sei von „Verbrennen und Vergasen“ die Rede, das entspreche nicht seinem Stil. Er habe auch eine Ahnung, wer dahinterstecken könnte, und habe den Verdacht der Polizei mitgeteilt. Dies sei „der Höhepunkt einer seit Wochen andauernden Mobbing-Attacke gegen mich. Da bin ich wohl jemandem mit meinen Veröffentlichungen massiv auf die Füße getreten“.
Der Landshuter schreibt regelmäßig unter dem Pseudonym Eugen Prinz für die neurechte, islamfeindliche Plattform „PI News“ und betreibt das Blog „zuwanderung.net“. In einem Beitrag, der kurz vor der Bundestagswahl 2017 erschien, bekannte er sich zudem unter Klarnamen zur AfD. Im Mai 2019 folgte einer Einladung der Partei in den Bundestag – zur Konferenz „alternativer Medien“.
Die Ermittler, sagt er, seien nur auf ihn gekommen, weil unter einer der Mails sowohl sein Name als auch die Adresse gestanden hätten. Er wolle nun mit der Polizei kooperieren. Unter anderem sei sein Computer beschlagnahmt worden. „Ich bin mir sicher, dass die Auswertung meine Unschuld beweist.“
In der Vergangenheit trat er allerdings mehrfach polizeilich in Erscheinung. Allein 2018 und 2019 ermittelte die Staatsanwaltschaft Landshut vier Mal gegen ihn, wie ein Sprecher der Behörde bestätigte. Dabei sei es unter anderem um Beleidigung, Volksverhetzung und datenschutzrechtliche Verstöße gegangen. In einem der Fälle habe es sich nur um Vorermittlungen gehandelt. Zu Anklagen kam es aber nicht, die Verfahren wurden alle eingestellt.
Innenminister Joachim Herrmann hatte am Montag gesagt, dass gegen den Ex-Polizisten ein Disziplinarverfahren eingeleitet wurde. „Auch ein Beamter im Ruhestand darf sich nicht extremistisch betätigen“, sagte der CSU-Politiker. Ihm drohten „dienstrechtliche Sanktionen bis hin zur Aberkennung des Ruhegehalts“. Bayerns Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze fordert eine umfassende Aufklärung. „Wie kam ein bayerischer Ex-Polizist an die Daten aus Hessen? Wie verzweigt ist das Netzwerk?“, fragte sie bei Twitter.
Laut Frankfurter Staatsanwaltschaft gibt es aber keine Anhaltspunkte dafür, dass der Ex-Polizist auch etwas mit dem Abruf persönlicher Daten von hessischen Polizeicomputern zu tun hat. Tatsächlich ist es möglich, dass die rund 70 Mails von verschiedenen Absendern verschickt wurden. Auch Innenminister Herrmann hält es für möglich, dass es sich bei dem Paar um Trittbrettfahrer handelt. MARCUS MÄCKLER