Berlin/München – Acht geben, aber nicht panisch werden: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn macht nach dem jüngsten Anstieg der Corona-Neuinfektionen klar, dass er derzeit keine kritische Schwelle überschritten sieht. „Im Moment sind wir in jedem Fall noch in einer Größenordnung, mit der das Gesundheitswesen und der öffentliche Gesundheitsdienst umgehen können“, sagte der CDU-Politiker im ZDF. Er mahnte aber: „Wenn die Zahlen weiter steigen, dann kommt es auf uns alle an, im Alltag aufeinander zu achten und eben weitere Maßnahmen tatsächlich auch nicht nötig zu machen.“
Zuletzt hatte das Robert Koch-Institut (RKI) erstmals seit drei Monaten mehr als 1000 Neuinfektionen binnen 24 Stunden registriert. Die Gesundheitsämter in Deutschland meldeten dem RKI demnach 1147 neue Corona-Infektionen innerhalb eines Tages, wie es am frühen Freitagmorgen hieß. (Die Johns-Hopkins-Universität in den USA meldete im Lauf des Freitagnachmittags für diesen Tag niedrigere Zahlen.) Die Zahl der Neuinfektionen in Deutschland hat damit den höchsten Wert seit Anfang Mai erreicht. Höhepunkt war Anfang April mit 6000.
Auf die Frage nach einem neuen Lockdown unterstrich Spahn die Linie, statt dessen vor allem auf regionale Maßnahmen zu setzen. Auch der Bonner Virologe Hendrik Streeck zeigte sich nicht beunruhigt. Die Belegung der Intensivstationen sei nicht stark gestiegen. Streeck plädierte dafür, „souveräner“ mit dem Virus umzugehen. „Wir dürfen nicht bei jedem Anstieg der Infektionszahlen in Panik geraten.“
Am heutigen Samstag starten bundesweit die Pflichttests für Rückkehrer aus Risikogebieten. Bayern könne das wie geplant umsetzen, sagte Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) nach einem Besuch im Testzentrum am Münchner Flughafen. Wer direkt aus einem Risikogebiet einreist, muss ein ärztliches Zeugnis vorlegen – auf Deutsch oder Englisch, gestützt auf eine molekularbiologische Testung, die höchstens 48 Stunden alt sein darf.
„An den Flughäfen München, Nürnberg und Memmingen werden alle Flugreisenden, die direkt aus einem Risikogebiet kommen und kein ärztliches Zeugnis vorlegen können, bereits bei der Einreise zu der ärztlichen Untersuchung aufgefordert“, sagt Huml. Wer das nicht hat, darf zu einem Test gezwungen werden. „Klar ist: Die Testpflicht ist auch ein Eingriff in Freiheitsrechte. Aber klar ist auch: Zum Schutz der Allgemeinheit ist sie notwendig.“
Löchriger ist das Netz bei der Einreise per Auto. Hier wird an der Grenze nicht jeder Wagen rausgewunken. Es soll Stichproben geben. Rechtlich sind ab Samstag auch Einreisende auf dem Landweg aus Risikogebieten zum Test verpflichtet. Sie können sich laut Huml innerhalb von 72 Stunden nach Einreise auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung testen lassen, später auf Kosten des Freistaats.
Schneller geht, gleich bei der Einreise ein Testangebot zu nutzen – in Bayern geht das an den Hauptbahnhöfen München und Nürnberg sowie an den Autobahnraststätten Hochfelln-Nord (A8), Inntal-Ost (A93) und Donautal-Ost (A3). Laut Huml wird das rege genutzt. An der A3 ließen sich laut Huml täglich rund 2000 Menschen testen, am Donnerstag über 2700. An der A8 hinter Kiefersfelden stoppte gestern übrigens ein prominenter Heimkehrer: Landtagspräsidentin Ilse Aigner ließ sich auf der Rückfahrt aus dem Süden testen und dankte den ehrenamtlichen Helfern beim BRK.
Die Politik diskutiert derweil über noch weitergehende Maßnahmen. Der CDU-Wirtschaftsrat forderte ein komplettes Verbot von Reisen in Corona-Risikogebiete: Ein solcher Schritt sei nötig, um einen drohenden neuen Lockdown wegen der steigenden Infektionszahlen abzuwenden, sagte Wirtschaftsrats-Generalsekretär Wolfgang Steiger der „Bild“. Politiker anderer Parteien kritisierten den Vorschlag aber als überzogen.