München – Vor zwei, drei Jahren wäre es noch ein Spaziergang für ihn gewesen. Christian Lindner hätte seine Generalsekretärin einfach ausgetauscht, der oder die wird’s, hätte er gesagt, und die Partei wäre ihm klaglos gefolgt. Doch so frei von Widerspruch sind nur politische Lichtgestalten. Und die Phase der Unantastbarkeit hat der junge FDP-Chef längst hinter sich.
Wie zum Beweis gab die Vorsitzende der Jungen Liberalen, Ria Schröder, der ARD gestern Morgen ein gepfeffertes Interview. Die zähe Debatte um FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg nannte sie „sehr, sehr unschön“, eine „Posse“, die der Partei nicht guttue. Dass sich das an Lindner richtete, war klar genug, aber Schröder legte nach. Es könne nicht sein, dass die Partei nur mit einem Gesicht verbunden werde. Die Zeit der „One-Man-FDP“ sei vorbei.
Das klang kampfeslustig und ein wenig frustgeladen. Kein Wunder, den Ärger um Teuteberg, mit deren Arbeit Lindner wohl seit Längerem unzufrieden ist, hätten sich viele gerne erspart. Die Sache ist zwar seit gestern formal geklärt, schon im September soll der rheinland-pfälzische Wirtschaftsminister Volker Wissing Teuteberg als Generalsekretär folgen. Im Parteivorstand, heißt es, habe es gestern keine großen Diskussionen mehr gegeben. Doch Teuteberg, eigentlich bis 2021 gewählt, räumt ihren Posten nur auf größten Druck. Und das wochenlange Gewürge um die Generalin dürfte im Gedächtnis bleiben.
Liberale wie Schröder lasten die Sache dem Parteichef an. Parteiintern wird das Gegrummel lauter. „Natürlich ist Lindner nicht mehr so unumstritten, wie er es 2017 war“, sagt ein führender Liberaler aus Bayern. Vor drei Jahren führte der Chef die FDP mit Wucht zurück in den Bundestag. Doch seither ließ er mehr als einmal politisches Gespür vermissen.
Da waren die Absage an das Jamaika-Bündnis in Berlin und die verunglückte „Fridays-for-Future“-Äußerung („eine Sache für Profis“). Im Frühjahr dann das holprige Krisen-Management in Thüringen, wo der FDP-Mann Thomas Kemmerich durch einen AfD-Trick zum Ministerpräsidenten gewählt wurde. Zwischendurch blinkte Lindner für den Geschmack einiger Parteifreunde thematisch zu oft nach rechts. Mitten in der Corona-Krise ließ er sich dann dabei erwischen, wie er ungeschützt einen Freund umarmte, der – ganz schön böse Fügung – weißrussischer Honorarkonsul ist. Unterm Strich wirkt es so: Lindner patzt, die FDP, in Umfragen bei sechs Prozent, büßt.
Der Zusammenhang ist offenkundig. Für viele Wähler besteht die FDP aus Lindner, Lindner und noch mal Lindner. Die starke Fokussierung auf ihn gilt vielen in der Partei als Problem. Dabei mangelt es nicht an Vielfalt. Die 80-köpfige Bundestagsfraktion ist durchaus bunt besetzt, vom Bürgerrechts- über den Sozial- zum Umweltpolitiker ist alles dabei. Die Jungen wie Konstantin Kuhle, Lukas Köhler oder Johannes Vogel versuchen, aus Lindners Schatten zu treten. Aber recht gelingen will es nicht.
Bösen Willen will dem Chef dabei niemand offen unterstellen, im Gegenteil. Lindner bemühe sich derzeit spürbar darum, die zweite Reihe nach vorne zu stellen, sagt ein Bundestagsabgeordneter. Er dränge sich nicht vor. In der Vergangenheit sei zwar nicht alles ideal gelaufen, aber: „Christian macht im Moment vieles richtig. Niemand stellt ihn ernsthaft infrage.“
Wer sollte ihm auch folgen? Lindner weiß um seine Position – trotzdem scheint es, als habe er zuletzt ein bisschen Demut gelernt. Als er gestern vor die Kameras tritt, erklärt er kurz und offen, warum Teuteberg gehen muss. Die Lage im Land habe sich verändert, die Themen auch. Er brauche vor der Bundestagswahl 2021 „mehr Hilfe und Unterstützung“. Das Ziel: Die FDP soll in die Regierung, diesmal wirklich.
Interessanterweise öffnen sich mit Wissing auch neue Koalitionsmöglichkeiten. In Mainz sitzt er in einer Ampel-Regierung mit SPD und Grünen und scheint das Modell recht gut zu finden. Gestern Morgen twitterte er jedenfalls recht vielsagend: „Die CDU nach so langer Zeit abzulösen, könnte ein wichtiges Signal des Aufbruchs für unser Land sein.“