München – Es ist ein wenig gespenstisch. 2019 in der HypoVereinsbank am Münchner Promenadeplatz. Während der Sicherheitskonferenz ist die Schalterhalle zum Ort der eher mittelwichtigen Pressekonferenzen umgebaut worden. Vorne spricht ein älterer Herr, auf den Stühlen sitzen zwischen Kontoauszugsdruckern ein paar Journalisten, viele Stühle bleiben frei. Nur: Was gesagt wird, findet medial kaum Niederschlag. Der ältere Herr heißt Joe Biden.
Sollte Joe Biden im nächsten Jahr wieder zur Sicherheitskonferenz kommen, wäre das – zumindest im Falle eines Wahlsiegs – eine kleine Sensation. Noch nie hat ein US-Präsident die Konferenz mit seiner Anwesenheit beehrt. Der Senator Biden aber kommt schon seit den 70ern zu dem Münchner Treffen, die damals noch „Internationale Wehrkunde-Begegnung“ hießen. Eine Randnotiz, die zeigt, wie lange dieser Biden schon im Geschäft ist.
Bidens Karriere, aber auch sein Leben liefern Stoff für viele Geschichten. Vom wirklich bemerkenswerten Aufstieg des stotternden Kindes eines Autoverkäufers, von tragischen, persönlichen Schicksalsschlägen und vom Aufstehen und Weitermachen. Bis ins hohe Alter.
Als Biden 1972 Senator wird, ist er blutjung. Keiner hatte dem erst 29-jährigen Katholiken aus einfachen Verhältnissen den Sieg im Ostküsten-Staat Delaware zugetraut. Und keiner kann ahnen, dass er schon bundesweite Schlagzeilen schreibt, ehe er überhaupt vereidigt ist. Sechs Wochen nach dem Wahlsieg will Bidens Frau Neilia einen Weihnachtsbaum kaufen. Ihr Auto kollidiert mit einem Lastwagen, die Mutter und Tochter Naomi (1) sterben, die Söhne Beau (3) und Hunter (2) überleben schwer verletzt. Seinen Amtseid legt Biden an ihrem Krankenbett ab.
Nun ist er die Nachwuchshoffnung mit dem Schicksalsschlag. Biden wird berühmt dafür, dass er jeden Abend 90 Minuten mit dem Zug nach Wilmington fährt, um seine Kinder ins Bett zu bringen. Das Pendeln mit dem Zug wird dem Senator noch Jahrzehnte später als Symbol dafür dienen, dass er im elitären Washington nicht abgehoben hat – trotz Haartransplantation und teurer Anzüge.
Privat geht es irgendwann aufwärts. 1975 lernt er die Lehrerin Jill Jacobs kennen, zwei Jahre später heiraten sie, 1981 kommt die gemeinsame Tochter Ashley zur Welt.
In der Hauptstadt macht der eloquente Senator derweil Karriere. 1987 bewirbt er sich erstmals für die Präsidentschaftskandidatur – nach wenigen Wochen muss er sich aus dem Rennen zurückziehen, weil er sich allzu großzügig bei einer Rede des britischen Labour-Vorsitzenden Neil Kinnock bedient hatte. Diesmal ist Biden politisch am Boden. Aber wieder kehrt er zurück. Im Senat gilt er als Mann der Mitte, als einer, der versucht, den Republikanern die Hand zu reichen. Damals war das Klima zwischen den Parteien im Kongress noch nicht ganz so vergiftet.
2008 unternimmt Biden einen zweiten Anlauf aufs Präsidentenamt. Wieder ist er von kurzer Dauer – gegen den jungen Superstar Barack Obama hat er keine Chance. Der fragt ihn dafür, ob er sein Vize wird. Obama gilt als aufstrebender Innenpolitiker, Biden soll das Außenpolitische kompensieren. Das Tandem regiert acht Jahre lang.
Doch wieder folgt ein schwerer Schicksalsschlag. 2015 stirbt Sohn Beau, einer der beiden Überlebenden des Autounfalls, mit 46 Jahren an einem Hirntumor. Biden soll am Boden zerstört gewesen sein. Dass heute Kamala Harris seine Vize-Kandidatin ist, hat auch eine persönliche Komponente: Beau Biden und Kamala Harris waren Freunde. Als sie vergangene Woche über die Zusammenarbeit mit Beau während ihrer Zeit als kalifornische Generalstaatsanwältin berichtete, kämpfte Biden sichtbar mit den Tränen.